Das Todesthema spielt inhaltlich und optisch eine Rolle an der Staatsoper.
Pöhn

Francis Poulencs "Dialogues des Carmélites", 1957 an der Mailänder Scala uraufgeführt und an der Wiener Staatsoper in der Direktionsphase Herbert von Karajans mit kurzem Höhenflug gesegnet, ist ein Werk der stilistischen Unbeschwertheit. Der Innovationszwang wird durch individuelle Ideenfülle umgangen. Die hier nur punktuell erweiterte Tonalität, die die strenge Moderne nach 1945 verdammte, feiert eine romantisch-süffige, immer jedoch substanzvolle Belebung.

Der Neoklassizist Poulenc hat sich allerdings einer düsteren Thematik angenommen. Es geht um existenzielle Grenzsituationen, in die während des Grande Terreur der Französischen Revolution auch die geistliche Welt hineingerät. Das Verhältnis zwischen Politik und Kirche wird nicht differenziert thematisiert. Es geht um die Nonnen des Karmeliterordens, die zu Tode verurteilt werden und auf der Guillotine landen.

Erfundene Figur

"Dialogues des Carmélites" basiert dabei auf der Novelle "Die Letzte am Schafott" der deutschen Schriftstellerin Gertrud von le Fort und bezieht sich auf Pariser Ereignisse von 1794. Das Ganze wird aber um die fiktive Figur der Blanche ergänzt, die in den Orden der Karmelitinnen eintritt, weil ihre Psyche leidet.

Regisseurin Magdalena Fuchsberger inszeniert bei ihrem Hausdebüt im hölzernen Bühnenbild von Monika Biegler keine überaus dynamischen szenischen Fugen. Die offene, käfigartige Konstruktion, die wie ein nicht vollendetes Gebäude wirkt, wird nur diskret für unscheinbare Seitenszenen genutzt, die parallel zum Hauptgeschehen ablaufen. Düstere Todesfiguren wandern da herum oder ein Kinderkönig. Und Blanches Reminiszenzen an ihr früheres Leben lassen etwa ihren Vater (profund Michael Kraus) als eine Art sitzende Skulptur erscheinen.

Der Tod als Thema

Es sind allerdings eher die Duettszenen zwischen den Nonnen, die die Qualität der Arbeit zeigen, da die Charaktere in ihrer Ambivalenz genau erfasst werden.

Allgegenwärtig ist das Todesthema, beginnend mit dem Dahinscheiden der Priorin Madame de Croissy. Michaela Schuster stellt eindringlich unter Beweis, wie der Glaube am Lebensende gefordert wird und im Moment der Verzweiflung zu bröckeln beginnt. Wohl die stärksten Momente der Inszenierung.

Die äußere Welt, Politik, die revolutionären Vorgänge – sie spielen da noch keine Rolle. Die Geschichte von Blanche ist ja zunächst die einer von diffusen Ängsten geplagten jungen Frau, die die Hast und den Lärm der Welt nicht erträgt und die ihr auch ihr Bruder nicht nehmen kann, den Bernard Richter mit edlem Timbre ausstattet. Das Kloster soll gleichsam zum Therapieraum werden.

Es sind die Duettszenen zwischen den Nonnen, die die Qualität der Arbeit zeigen, da die Charaktere in ihrer Ambivalenz genau erfasst werden.
Foto: WIENER STAATSOPER / MICHAEL PÖHN

Kämpfe aller Art

Im scheinbar andächtigen Ambiente klösterlicher Abgeschiedenheit toben allerdings ebenso subtile innere und äußere Machtkämpfe. Da ist die zunächst überschwänglich heitere Novizin Constance (eindringlich Maria Nazarova). Da ist die Novizenmeisterin Mere Marie, die Eve-Maud Hubeaux prachtvoll singend zwischen Strenge und Wankelmütigkeit gibt, während Maria Motolygina die neuen Priorin Madame Lidoine mit dringlicher vokaler Souveränität ausstattet, jedoch darstellerisch wenig Gestaltungsraum erlangt.

Sonst eher nur in Ansätzen Gelungenes: Entlang der Geschichte der auf der Guillotine landenden "Märtyrinnen von Compiègne", die es wirklich gab, sind auch die Videos von Aaron Kitzig eher eine schüchterne atmosphärische Unterstützung, die versucht, sich hinter der Holzkonstruktion mit sakraler Thematik gestalterisch zu beschäftigen. Auch das Eindringen der revolutionären Massen ins Kloster bleibt eher eine szenisch blasse Episode.

Drama und Werk

Es bleibt letztlich das Drama der Einzelfiguren szenisch spannend. Das trifft auch den Kern dieser Oper, die eine Art Tiefenstudie darstellt, wie Glaube mit der Herausforderung des Todes umgeht.

Wenn dann am Ende alle Nonnen im Nebeldunst längst entrückt als goldbekränzte Märtyrerinnen eine nach der anderen verschwinden, während das Orchester den tödlichen Lärm des Fallbeils evoziert, bleibt die Erkenntnis, ein elegantes eklektisches, aber nie plagiierendes Werk von hoher Eleganz und Intensität in solider szenischer Form gesehen zu haben.

Die musikalisch hochkarätige Aufführung vollendet natürlich Nicole Car als Blanche. Die Tragödie einer fragilen Person, die am Ende blutend daniederliegt, ist in den Händen einer souveränen Sängerdarstellerin.

Dirigent Bertrand de Billy hat das Staatsopernorchester animiert, seine Klangpracht zu entfalten und dabei auch jene dramatisch und dissonant einschlagenden Momente voll auszukosten. Höflicher Applaus. (Ljubiša Tošić, 22.5.2023)