Laurel Hubbard war 2021 in Tokio als erste Transgender-Athletin bei Olympia dabei.

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Was, wenn eine Gewichtheberin bis Anfang 20 in Männerbewerben antrat und sich nach einer geschlechtsanpassenden Operation gut zehn Jahre später bei Wettbewerben als Frau registrieren lässt? So wie die Neuseeländerin Laurel Hubbard. Was, wenn eine Schwimmerin die männliche Pubertät durchlief, drei Jahre für das Männerteam antrat und ein Jahr später für die Frauen ins Rennen geht? So wie die US-Schwimmerin Lia Thomas. Unfair? Manche Vereine sagen: Ja. Deshalb hat der Weltverband im Schwimmen (Fina), die International Rugby League oder auch der Dachverband nationaler Sportverbände für Leichtathletik "World Athletics" Transfrauen aus Frauenbewerben ausgeschlossen, wenn sie nicht bestimmte Bedingungen erfüllen – etwa eine Hormontherapie vor dem zwölften Lebensjahr. Viele andere Vereine haben noch keine Richtlinien, wie sie mit transgeschlechlichen Sportler:innen umgehen.

So selbstverständlich im Sport die Grenze zwischen Männern und Frauen verläuft, so sehr ist Geschlecht auch im Sport mit bestimmen Vorstellungen verknüpft – womit auch bestimmte Leistungsgrenzen definiert werden, sagt die Sportwissenschafterin Bettina Bredereck.

STANDARD: Transgender-Themen werfen derzeit Fragen zu Fairness im Sport auf. Inwiefern spielte Geschlecht und Fairness aber schon früher eine Rolle?

Bredereck: Wenn man die Frage der Fairness auf Geschlecht einengt, zeigt sich, dass im Sport stark die Idee transportiert wird, dass Frauen körperlich weniger stark oder weniger schnell sind. Daraus ergab sich die Annahme, dass es fair wäre, dass Männer und Frauen getrennt an Wettkämpfen teilnehmen und auch getrennt bewertet werden.

Bettina Bredereck ist Sportwissenschafterin an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Geschlechterforschung, Poststrukturalismus und Crossfit.
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Das ist historisch so gewachsen und wurde auch nicht im Sport erfunden. Vielmehr ist die Vorstellung, dass Männer körperlich überlegen sind, stark mit Weiblichkeits- und Männlichkeitsbildern verbunden. Doch vielleicht gehen wir bei Frauen einfach davon aus, dass sie schwächer im Sport sind. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Frauen aufgrund dieser Vorstellungen nur bis zu einem gewissen Punkt trainieren. Wenn man Hochleistungssport betreibt, dann orientiert man sich daran, wer den ersten Platz mit welcher Leistung gemacht hat. Warum sollte man darüber hinausgehen, wenn man damit siegen kann?

STANDARD: Dass Männer durchschnittlich über mehr körperliche Kraft verfügen, steht nicht außer Frage?

Bredereck: Wenn man sich naturwissenschaftliche Messungen ansieht, dann sind Frauen salopp gesagt schwächer als Männer. Aber auch Messungen sind Teil einer Gesellschaft, in der Frauen anders trainieren und leben als Männer. Wenn das wegfallen würde, stellt sich die Frage, ob sich Geschlecht als klare Kategorie im Sport noch halten würde. Der Hormonspiegel ist auch nicht immer ein eindeutiger Hinweis.

Leistung ist multifaktoriell: Wie ist die Situation mit Trainern, mit der Ausstattung, wie das soziale Umfeld, welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, wie jemand eine Goldmedaille gewonnen hat. Jedenfalls gibt es auch innerhalb von Männern und Frauen sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Bestimmte Sportarten bevorzugen bestimmte Körper, und durch bestimmtes Training kommt es zu unterschiedlichen Ausprägungen.

Wir müssen uns auch fragen, wohin der Hochleistungssport in Bezug auf künstliche Stärkung der Menschen durch Doping geht. Es gibt bestimmte Grenzwerte, und genau diese Werte sind die Grenze – auch das wirf die Frage auf, von welchem natürlichen Status quo wir eigentlich sprechen.

STANDARD: Wann ist das Thema Geschlechtergrenzen im Sport aufgetaucht?

Bredereck: Als das Thema Transgeschlechtlichkeit generell breiter diskutiert wurde. Im Sport, zum Beispiel in der Leichtathletik, gibt es schon länger Debatten und Regelungen über die Festlegung Mann und Frau. Falls der Verdacht besteht, jemand sei "keine richtige Frau" – was auch immer das heißt –, wird eine Kommission aus Expert:innen gebildet, die entscheidet, ob jemand als Frau antreten darf. Dieses Prozedere bezog sich früher weniger auf Transpersonen, sondern auf Menschen mit bestimmten hormonelle Erkrankungen. Das ist zwar ein anderer Fall, aber es zeigt die Historie, dass die Grenzen des Frauseins vor allem medizinisch begründet wurden.

STANDARD: Was bedeutet der zunehmend sichtbare Kampf für Gleichstellung von Transpersonen oder intersexuellen Menschen für den Sport?

Bredereck: Im Sport erscheint die Welt oft einfach. Es gibt Männer und Frauen, einen Sieger. Sport funktioniert auch dadurch, weil vieles so eindeutig erscheint. Doch ab dem Moment, in dem sich Menschen etwa als divers bezeichnen und das durch einen Eintrag im Pass auch amtlich ist, sind sie eine anerkannte Geschlechtskategorie. Und dann muss sich der Sport natürlich fragen, ob er eine von der Gesellschaft anerkannte Gruppe einfach ausschließen möchte.

Früher haben etwa Transpersonen bei Sport nicht mitgemacht, oder sie haben ihre Geschlechtsidentität erst am Ende ihrer sportlichen Karriere verändert. Heute muss sich der Sport fragen, wie er sich gegenüber Transpersonen oder intergeschlechtlichen Menschen verhält, die Wettkampfsport machen wollen. Der Sport muss sich langfristig dazu positionieren. Und es würde dem Sport auch guttun, grundlegende Debatten über die eigene Identität zu führen.

STANDARD: Wie gehen die verschiedenen Sportarten bis jetzt damit um?

Bredereck: Die Leichtathletik arbeitet noch sehr stark mit einer traditionellen Trennung von Frauen und Männern. Aber es gibt jüngere Sportarten, die sagen: Wer sich als Frau definiert, kann auch bei den Frauen mitmachen. Das bringt zwar auch Probleme mit sich, aber zumindest gibt es im Moment unterschiedliche Auseinandersetzungen. Es ist im Moment ein Prozess, der wohl noch länger nicht abgeschlossen ist.

STANDARD: Was wären Alternativen zu Geschlecht als Kategorie im Sport?

Bredereck: Man könnte beispielsweise, wie ohnehin in einigen Sportarten, Gewichtsklassen einführen, nach Körpergrößen gehen oder weitere Unterscheidungen einführen – je nachdem welche Sportart. Beim Boxen kann man nicht jemanden, der 60 Kilo wiegt, gegen jemanden mit 110 Kilo antreten lassen. Wenn die gegeneinander antreten würden, dann wäre das kein fairer Kampf. (Beate Hausbichler, 23.5.2023)