Kanzler Nehammer lässt sich auf seiner Bulgarienreise im Jänner aus der Luft den Zaun an der Außengrenze zeigen. Österreich forciert eine strenge EU-Migrationspolitik.

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NGOs vor Ort hatten es schon lange berichtet; griechische Behörden dagegen stets abgestritten. Diese altbekannte Dynamik dürfte sich mit vergangenem Freitag geändert haben. Denn da veröffentliche die renommierte New York Times eine großangelegte Recherche, die auf Videoaufnahmen des österreichischen Flüchtlingshelfers Fayad Mulla basiert. Sie bestätigte die vielfach vorgebrachten Berichte der NGOs: Vermummte entführen auf griechischen Inseln Geflüchtete und transportieren sie in Kastenwagen zu Schiffen der griechischen Küstenwache. Von diesen aus werden die Flüchtlinge auf aufblasbaren Rettungsinseln im Meer ausgesetzt. Diese Praxis ist illegal – Pushbacks sind nicht nur laut der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch laut geltendem EU-Recht unzulässig.

Die dokumentierten Pushbacks sind allerdings keineswegs nur ein griechisches Problem. Sie betreffen die gesamte EU, die Griechenland bei der Sicherung der Außengrenze unterstützt. Und sie betreffen ganz spezifisch auch Österreich. Denn Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) forcierte in seiner bisherigen Amtszeit eine enge Zusammenarbeit mit Griechenland bei Migration und EU-Außengrenzschutz. Noch unter seinem Vorgänger und Parteikollegen, dem heutigen Kanzler Karl Nehammer, schmiedete Österreich gemeinsam mit Griechenland Pläne für eine neue europäische Migrationskonferenz, die vor rund eineinhalb Jahren schließlich gemeinsam mit Litauen und Polen aus der Taufe gehoben wurde. Ziel des Projekts: Die EU-27 sollten zu einer schärferen Migrationspolitik bewogen werden.

Pushbacks dementiert

Im Rahmen der zweiten Ausgabe des Gipfels im Februar in Athen besuchte Karner auch den Hauptsitz der griechischen Küstenwache am Hafen von Piräus. Dort dankte der Minister den Einheiten für die "schwierige Arbeit", die sie zur Bekämpfung illegaler Migration leisten würden. Gefragt nach den schweren Vorwürfen illegaler Pushbacks, die NGOs wie auch türkische Regierungsvertreter damals bereits vielfach erhoben hatten, dementierten Spitzenbeamte der griechischen Küstenwache im Beisein Karners und des STANDARD, dass es Pushbacks durch Griechenland gebe. Vielmehr würde die Türkei mit gezielten "Push-Forwards" operieren, um Griechenland und die EU mit hohen Migrationszahlen zu belasten. Die griechische Küstenwache rette dagegen laufend Menschen, wenn sie sie aus dem Meer auf ihre Boote ziehe.

Wie bewertet Karner nun die Belege der New York Times-Recherche zu illegalen Pushbacks durch Griechenland? Welche Konsequenzen sollen auf EU-Ebene daraus hervorgehen? Werden die dokumentierten Praktiken etwas an Österreichs enger Zusammenarbeit mit Griechenland beim Versuch, Migration in die EU einzudämmen, ändern? Man gehe davon aus, dass die griechischen Behörden und die Justiz die Vorwürfe prüfen und gegebenenfalls entsprechende Konsequenzen ziehen werden, hieß es am Montag auf STANDARD-Nachfrage aus dem Innenministerium.

Karner selbst fordert von der EU-Kommission bereits seit längerem, Zurückweisungen von Geflüchteten an den Außengrenzen mittels neuer Richtlinie deutlich zu erleichtern. So sollten Zurückweisungen von Personen aus Ländern, die "praktisch keine Chance auf Asyl" haben, "ohne Asylantragsprüfung ermöglicht" werden, wie es aus dem Ressort heißt. Verfassungsrechtler halten das allerdings für unvereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention.

Kritik an "Operation Fox"

Auch an Österreich gibt es konkrete Kritik im Zusammenhang mit Pushbacks: Im Rahmen der "Operation Fox" patrouillieren heimische Polizistinnen und Polizisten in Ungarn unweit der österreichischen Grenze, um irreguläre Migranten und Schlepper aufzugreifen. Aufgegriffene Personen werden den ungarischen Kollegen übergeben. Allerdings: Ungarn hat bereits tausende Menschen ohne rechtmäßiges Verfahren abgeschoben und wurde dafür vom Europäischen Gerichtshof wiederholt verurteilt. Fachleute befürchten, dass für heimische Beamte nach der Übergabe das Prinzip "Aus den Augen, aus dem Sinn" gelten könnte – und nicht weiterverfolgt werden könne, ob Aufgegriffene danach rechtswidrig abgeschoben werden. (Martin Tschiderer, 22.5.2023)