In echt ein Star, im Film ein Star: Scarlett Johansson als Schauspielerin Midge Campbell in "Asteroid City"

Foto:Courtesy of Pop. 87 Productions/

Anderson-Stammschauspieler Jason Schwartzman und der Neuzugang Tom Hanks als Stiefsohn und Stiefvater

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Steve Carrell spielt den Motelbesitzer in "Asteroid City".

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Tom Hanks, Scarlett Johansson und Wes Anderson bei der Premiere von "Asteroid City"

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Adrien Brody, Bryan Cranston und Rita Wilson mit Ehemann Tom Hanks

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In der zweiten und letzten Festivalwoche hat sich der Realismus aus den Kinosälen der Croisette verabschiedet, nachdem die Anfänge von Authentizität und realen Begebenheiten geprägt waren. Etwa in den Dokumentationen Youth von Wang Bing über Näherinnen und Näher in China und Four Daughters, worin die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania der Frage auf den Grund zu gehen versucht, warum sich die zwei älteren Töchter von Olfa Hamrouni dem IS angeschlossen haben.

Mithilfe der Fiktion widmeten sich auch zwei der Festivalfavoriten realen Begebenheiten. Todd Haynes’ May December orientiert sich an dem Skandal um die 36-jährige kalifornische Lehrerin Mary Kay Letourneau, die eine Affäre mit einem 13-Jährigen begann und diesen nach einer Haftstrafe auch ehelichte. Natalie Portman und Julianne Moore spielen die Rollen in Haynes’ von Soap-Operas inspiriertem Psychodrama fantastisch.

Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller könnte heuer den Darstellerinnenpreis bekommen – gleich mit zwei Filmen ist sie in Cannes vertreten.
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Jonathan Glazer wiederum erzählt in der Romanadaption The Zone of Interest des jüngst verstorbenen Martin Amis von der Banalität des Bösen: Er zeigt den Alltag des KZ-Lagerkommandanten Rudolf Höß und seiner Frau Hedwig. Diese wird von der hervorragenden Sandra Hüller verkörpert, einer direkten Konkurrenz für Natalie Portman um den Darstellerinnenpreis. Zumal Hüller auch in dem elegant inszenierten Gerichtsdrama Anatomy of a Fall von Justine Triet als mordverdächtige Autorin glänzt.

Auftritt Wes Anderson

Und dann wurde es bunt im Wettbewerb: mit dem üppigen Historienepos Firebrand von Karim Ainouz, Hausners kühl-stilvollem Club Zero und dem romantisch-klassischen Arbeiterdrama Fallen Leaves von Aki Kaurismäki. Doch die Krone der in Farben und Formen schwelgenden Filme gebührt ohne jeden Zweifel Wes Andersons Asteroid City.

Anderson, der um 2000 mit Rushmore und The Royal Tenenbaums den Film-Olymp erklomm, erlebt wegen seiner flächigen, in kräftigen Pastellfarben gehaltenen, spielerischen Ästhetik derzeit ein Comeback in den sozialen Medien. Unter #WesAndersonTrend inszenieren Normalsterbliche ihren Alltag durch die quirlige Linse des Amerikaners – diverse Werbung für iPhone, Tourismus et cetera wird da gleich mittransportiert. Sogar die Demokratische Partei hat ein Wes-Anderson-inspiriertes Video über den Arbeitsalltag des amtierenden Präsidenten Joe Biden kreiert.

Weniger gelungen – Joe Bidens Alltag als Wes-Anderson-Film.
Gelungener ist da die Wien-Werbung

Vom Schlafen und Aufwachen

Die Nähe zur leicht kopierbaren, poppigen Werbeoptik kann man Anderson ankreiden. Dennoch gibt es kaum einen Regisseur, dem es gelungen ist, eine so distinkte Filmästhetik ähnlich weit zu entwickeln. Letzteres belegt Asteroid City.

Die wunderliche Zusammenkunft von Nerds, Alleinstehenden und einem Alien um 1950 in einer sandfarbenen, amerikanischen Wüste (gedreht wurde in Spanien) wird bei Anderson zu einem tragikomischen Drama, das verschiedene Stadien der Trauer und des Wunschs, sich durch Kunst einlullen zu lassen, durchspielt. Wenn dann das Ensemble des in Kapitel und Metaerzählungen strukturierten Films proklamiert: "You can’t wake up if you don’t fall asleep", dann wirkt das richtiggehend brechtianisch.

Die Gefahr des Einschlafens besteht bei Asteroid City aber keinesfalls, denn der Film zählt zu Andersons gelungensten Arbeiten. Gerade in ästhetischer Hinsicht ist er ein Beweis dafür, dass der Anderson'sche Stil vielleicht schnell kopiert ist, aber nie erreicht. Und schließlich sieht man seinen Stars, darunter Scarlett Johansson, Tom Hanks und Bryan Cranston, einfach wahnsinnig gern beim Schauspielen zu. (Valerie Dirk aus Cannes, 24.5.2023)