Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Echo-Verlag
Es war am Freitag. Da, schreibt N., habe er seinen Ohren nicht getraut. Der Wegelagerer, der ihm da den Weg verstellt hätte - an diesem Tag bereits zum dritten Mal –, habe ihn nämlich auch noch blöd angeredet. Damit, schreibt N., habe er genug: Wenn er es nicht echt eilig gehabt hätte, wäre stehen geblieben und hätte sich den Namen des Keilers geben lassen. Und sich dann bei der Organisation so lange, bis der Quälgeist von der Straße abgezogen wäre.

Wäre er American Football-Spieler, Schreibt N., würde ihm das Keilerunwesen ja fast Spaß machen: Wenn sich drei oder mehr mit ausgebreiteten Armen aufbauen, doof-freundlich grinsen und ihn zum Stehenbleiben auffordern, komme er sich ohnehin schon vor, als versuche er einen Homerun quer durch eine Defense-Line. Und weil viele Keiler–Mädchen, schreibt N., glauben, ein Mann würde sie nicht anrempeln, Jungs, meint N., verlassen sich auf den Wickelvermeidungswillen ihres Gegenübers – nicht mehr ausweichen, werde er demnächst damit beginnen, Wegelagerer der Guten Sachen über den Haufen zu gehen.

Tierschutzquälgeist

Den Ausschlag gegeben, schreibt N., habe letzten Freitag ein Tierschutzaktivist. (Ja, schreibt N., er wisse, dass die Keiler gedungene Provisionssöldner und keine Überzeugungstäter seien – aber da die bettelnden Organisationen ohnehin nur über ihre Räuberbanden öffentlich präsent seien und ihnen dieses Unsympathieträgerimage scheinbar recht sei, gehe er davon aus, dass es da keine Unterschiede gibt). Der kenne ihn, N., mittlerweile. Schließlich gehe N. etwa sechs Mal am Tag an ihm vorbei.

Der Aktivist, schreibt N., lasse nicht locker. Jedes Mal werfe er sich erneut in N.s Weg, breite die Arme aus, versuche, ihm die Hand zu geben ( de facto also, erklärt N., ihn am Arm zu packen und nicht mehr los zu lassen ohne sich juristisch in „Nötigungs“-Nähe zu begeben) oder begleite ihn quasselnd zwei Schaufenster weit. Mittlerweile, klagt N., argumentiere der Keiler damit, dass man einander doch kenne: Da könne er, N., doch endlich stehen bleiben. Und über Tierschutz diskutieren.

Notwehr?

Am Freitag, schreibt N., habe er den Wegelagerer noch bevor der nach seiner Hand greifen konnte angefahren: Er solle nicht einmal daran denken, ihn, N. anzureden. Wenn er N. auch nur berühre, würde er, N., von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen. Und es vielleicht überschreiten. Der Keiler, schreibt N., habe sofort er zu schimpfen begonnen: N. sei eine arroganter Affe. N. solle gefälligst höflicher sein. N. möge sich sehr genau überlegen, wie er sich ihm und anderen Keilern gegenüber verhalte: Sollte er, N., sich beim nächsten Mal nicht kooperativer zeigen, werde er ihn wegen gefährlicher Drohung anzeigen – schließlich hätten seine Kollegen gehört, was N. gesagt hatte.

Er habe, schreibt N., wirklich keine Zeit gehabt, stehen zu bleiben. Leider. N., hätte, schreibt er, zwar keinen Spendenauftrag unterschrieben, aber dem Keiler verraten, was er ein paar Wochen zuvor getan hatte: N. hat da nämlich die Spenden-Daueraufträge für vier auf der Mariahilfer Straße werbenden NGOs, die er seit Jahren unterstützt hatte, storniert. Und eine Liste all jener Gruppen angelegt, deren Anliegen er so lange nicht einmal mehr durch Unterschriften oder Mundpropaganda fördern wird, so lange ihre Keiler ihn und andere Passanten nicht in Ruhe lassen.

Aber dem Keiler, meint N. wäre das vermutlich ohnehin egal gewesen – und wenn nicht, hätte sich fünfzig Meter weiter ja trotzdem der nächste Wegelagerer in seinen Weg gestellt.