Zur Erinnerung an den Märtyrertod von Major Karl Biedermann am 8. April 1945. "Kommentar der anderen" von Andreas Lehne.

Den Opfern des Nationalsozialismus" - diese Inschrift, in eine Als-ob-Marmorplatte gemeißelt, ist derzeit (vom 12. März - 8. Mai 2005) in der großen Rundbogennische über dem berüchtigten Balkon der Neuen Burg am Heldenplatz zu lesen. Der besondere "Gag", den sich die Gestalter da einfallen ließen, besteht in der Differenz zwischen dem der Aussage entsprechenden Ewigkeitsanspruch der imaginierten Form und dem realen Eventcharakter der Inszenierung. Es handelt sich also um ein ironisches Spiel, das anscheinend die Dauerhaftigkeit dieses Erinnerns und damit auch die Sinnhaftigkeit derartiger Erinnerungsstätten in Frage stellt.

Vielleicht war aber auch etwas anderes, oder - den vielen Gedankenlosigkeiten zum "Gedankenjahr" entsprechend, gar nichts mit der Platte beabsichtigt. - Wie auch immer: Man sollte sie als Denkanstoß nützen: Welche gesellschaftliche Funktion erfüllen die Mahnmale, die seit den 50er Jahren geschaffen wurden, tatsächlich? An wen sind sie adressiert?

Kein Platz ...

Betrachtet man nur die bekanntesten drei in der Wiener Innenstadt, das künstlerisch belanglose 1951 geschaffene "Opfer des Faschismus-Denkmal" am Morzinplatz, Hrdlickas auch inhaltlich fragwürdige Gruppe vor der Albertina (Gewalt und Grausamkeit als Konstanten der Menschheitsgeschichte) und Rachel Whiteheads autoritären Bibliotheksblock am Judenplatz, so ist ihnen bei allen ästhetischen und inhaltlichen Unterschieden doch gemeinsam, dass sie einen zentralen Aspekt des Erinnerns ausblenden: Sie fordern zur Trauer, zum "Niemals Vergessen" auf, verweisen auf historische Geschehnisse am jeweiligen Ort - keines aber stellt dem Betrachter die essenziell wichtige Frage: "Wie hättest denn Du Dich damals verhalten?"

Diese unbequeme Frage kann nur von Vorbildern, von Individuen ausgehen, die sich in bedrohlichen Situationen durch Zivilcourage und Opferbereitschaft bewährt haben. Beispiele für derartige Denkmale gibt es viele, vom Hain der "Gerechten unter den Völkern" in Yad Vashem, bis zu der Gruppe der "Märtyrer des 20. Jahrhunderts" an der Westminster Abbey von 1998. Letztlich gehört auch die kürzlich erfolgte Aufnahme der Büste von Sophie Scholl in die "Walhalla" von Regenstauf (die gleichzeitig auch das nationalistische Konzept dieser "Ruhmeshalle des deutschen Volkes" aufbricht) in diese Kategorie.

Bei uns werden die Namen von Widerstandskämpfern, wenn überhaupt, in der Regel durch Straßenbenennungen verewigt - eine ebenso einfache wie wirkungslose Methode, zumal dafür üblicherweise nur Restflächen oder Wohnstraßen an der Peripherie in Betracht kommen. Umbenennungen die eine wirklich starke appellative Botschaft hätten (denken wir etwa an "Franz Jägerstätter-Ring" statt "Dr. Karl Lueger-Ring") werden meist mit dem Hinweis auf die Kosten abgelehnt - kurzlebige Aktionen wie die "25peaces" lassen sich hingegen problemlos finanzieren.

... für Helden?

Für das Fehlen individueller Denkmale gibt es mehrere Gründe. Es existiert in Österreich keine Tradition für die Heroisierung von Revolten - auch der populäre Andreas Hofer, Anführer eines Volksaufstandes, betätigte sich im Sinne Habsburgs.

Heldentum ist heute allgemein immer weniger "gefragt", wir bleiben gern neutral und stehen allzu idealistischem Engagement skeptisch gegenüber (nicht ohne Grund: Wurde und wird nicht auch mit dem Einfordern von Helden- und Märtyrertum ziemlicher Missbrauch getrieben?). Und schließlich sind auch nicht alle Helden-Biografien so geradlinig verlaufen, wie man sich das vielleicht wünschen würde.

Nehmen wir zum Beispiel jenen Major Karls Biedermann, dessen wir wohl mit Recht in diesen Tagen gedenken (er wurde mit zwei anderen Offizieren am 8. April 1945 gehenkt, weil er versucht hatte mit der Roten Armee eine rasche Übergabe Wiens zu verhandeln). Nach ihm und seinen Kameraden ist heute die Biedermann-Huth-Raschke Kaserne benannt - zuvor trug aber schon ein anderes Gebäude seinen Namen: Der nachmalige "Karl Marx-Hof" war 1934 nach jenem Artillerieoffizier benannt worden, der ihn eingenommen hatte und der später illegales Mitglied der NSDAP werden sollte. Und doch: Am Ende ist Biedermann zum Märtyrer geworden. Um der Stadt Opfer zu ersparen, hat er sein Leben riskiert und verloren ...

Lohnende Fragen

Wir tun uns sicher schwer mit der Würdigung solcher Biografien - Biedermann ist nicht der einzige, dessen Lebensweg derartige Brüche aufweist -, sollten uns aber der Debatte um eine angemessene Darstellung und Vergegenwärtigung dieser widersprüchlichen Heldengeschichten nicht entziehen. Sich diesen komplexen Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, würde zum Geschichtsverständnis der heutigen Generation jedenfalls weit mehr beitragen als die ständige Wiederholung einfacher Leerformeln wie "Den Opfern des Nationalsozialismus." (DER STANDARD, Print, 8.4.2005)