Vierzigjährige haben mehr Geld als Teenager, um sich zum Beispiel die hippen Anzüge von Hedi Slimane (links), erfolgreicher Dior-Chefdesigner, zu kaufen. Slimane, Jahrgang 1968, wurde von Wolfgang Tillmanns (37), dem ersten Fotografen, der den Turner-Preis gewann, fotografiert.

2001 erschien der Fotoband Portraits von Wolfgang Tillmanns im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln. Er wurde freundlicherweise von der Buchhandlung Lia Wolf zur Verfügung gestellt.

Auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung herrschte dicke Luft: "Was wir nicht von euch lernen müssen: Wie jung sein geht", stand da unter Punkt vier in der langen Liste an Klarstellungen an die Generation der Vierzigjährigen, und unter Punkt 35 fragte man keck: "Mesdames et Messieurs, wollen wir uns nicht einfach siezen?" Das saß tief, verstehen sich doch die, gegen die diese Liste gerichtet war, nicht als Respektspersonen, sondern als Kumpels - auch wenn sie mindestens 20 Jahre älter sind als die eingeschnappten Jungjournalisten.

Seit sich immer mehr Vierzigjährige wie die besseren Zwanzigjährigen gerieren, brodelt es in der für einige Zeit verdächtig ruhigen Generationendebatte. Die Jugend von heute, hatte der neben Rainald Goetz dienstälteste deutsche Popautor Joachim Lottmann unlängst seinen tiefen Blick in die momentane Jugendkultur genannt und sich dabei selbst - bzw. seinen Ich-Erzähler - als den "letzten lebenden Teenager" stilisiert. Dabei ist Lottmann Jahrgang 1956 und damit in einem Alter, in dem man eher im eigenen Reihenhaus als in der Discolounge sitzt.

Doch solcherlei eingefahrene Altersstrukturen sind schon länger nicht mehr gültig, Jugend sei kein Getue, sondern eine Kunst, wusste bereits Oscar Wildes Lord Goring - eine Kunst, an deren Perfektionierung derzeit Generationen feilen, die vor einigen Jahrzehnten schon lange zum alten Eisen gehört hätten. Als "Revolution der Lebensläufe" hat das Claudius Seidl in seinem Essay Schöne junge Welt (Goldmann Verlag) beschrieben und damit den theoretischen Grundstein für den neuesten Ableger der Generationendebatte gelegt: den Aufstand der Vierzigjährigen, die nicht erwachsen werden wollen.

Seidl selbst ist Jahrgang 1959, mischt als einer der führenden Feuilletonisten (derzeit bei der Berliner FAS) kräftig in der deutschsprachigen Debattenkultur mit und lässt keinen Zweifel daran, dass es Typen wie er sind, über die er in seinem Buch schreibt. Menschen, die mit dem Rad zur Arbeit fahren und dabei die Hosenbeine hochkrempeln, die Turnschuhe zum (Helmut-Lang-)Anzug tragen und keine Socken in den Slippers - und sich dabei so jung fühlen, wie es die eigenen Eltern wahrscheinlich nie taten. "Berufsjugendliche" hätte man Menschen wie ihn früher genannt, und dabei ein wenig den Mund verzogen.

Doch die Zeiten, als klar war, an welchem Punkt man endgültig erwachsen ist, sind schon des Längeren vorbei: "Was gestürzt wurde, war die Macht der Altersstrukturen und die Herrschaft der alten Lebensblaupausen, was verschwand, war der blinde Glaube, dass die Jugend spätestens mit dreißig zu Ende sei, ja der Glaube, dass Jugend überhaupt ein Ende haben müsse", schreibt Seidl und führt damit an einer Nebenfront die Debatte über die ständige Verlängerung der Lebenszeit weiter, die sein Vorgesetzter bei der FAZ, Frank Schirrmacher, als "Methusalem-Komplott" beschrieben hat. Daneben aber geht es um das Porträt einer Generation, deren innerer Zusammenhalt es ist, sich siegesgewiss in den Ring der Distinktionen zu werfen, in dem in erster Linie das Kulturgut Jugend verhandelt wird. Bei der Generation Golf, die seinerzeit Florian Illies ausgerufen hat, war es noch das Ploppen beim Öffnen eines Nutella-Glases, das die Generation im Innersten zusammenschmiedete, waren es Entscheidungen wie die zwischen Geha oder Pelikan, die das Selbstbild bestimmten.

Jene Generation, die Seidel beschreibt, ist für solche Identifikationsmöglichkeiten schlichtweg zu alt. Für sie prägte Reinhard Mohr den Begriff der 78er, und Matthias Politycki schrieb mit dem Weiberroman das Buch dazu. Doch so wirklich durchgesetzt hat sich die Bezeichnung für die Altersgenossen, die zu jung für 68 und zu alt für die poppigen Golffahrer waren, die beständig zwischen Larmoyanz und politischer Uneindeutigkeit pendelten, nicht. Eine Zwischengeneration, der bis jetzt ein eindeutiges Label abging.

Gerade ihr fällt jetzt das Los zu, die unendliche Verlängerung der Jugend am eigenen Leib zu erleben - und alles daranzusetzen, dass auch ja keine Altersspuren daran ablesbar sind. Die Midlifecrisis, die früher einmal die Hälfte des Weges in das Rentenalter markierte, wird vor diesem Hintergrund zu jener Phase, in der der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter wirklich nicht mehr aufzuhalten ist. Während eine Gesellschaft mehr und mehr vergreist, müssen die Vierzigjährigen das Rad anhalten - um in einer immer währenden Gegenwart zu leben. Die Definitionsmacht, wer oder was Jugend sei, hat diese Generation also schon vor einiger Zeit an sich gerissen. Wer in den Charts derzeit ganz oben steht, welche Beziehungsmodelle zu bevorzugen und welche Marken besonders angesagt sind - das bestimmen die Vierzigjährigen, wie sie es bisher noch nie taten. Das irritiert natürlich jene, die in eine Jugend hineinwachsen, die nicht die ihre ist. Für sie ist diese Situation mindestens genauso schwierig wie für die Vierzigjährigen, die genauso cool wie ihre eigenen Kinder sein müssen und diese Coolness gleichzeitig definieren. Ein Aufeinanderprallen der Generationen, in dem es nicht mehr um die Durchsetzung vollkommen konträrer Weltsichten geht, sondern nur um die Durchsetzung der einen. Der jungen nämlich.

Mussten sich die 68er noch gegen vollkommen verkrustete Strukturen aufbäumen, ist der Generationenkonflikt gute drei Jahrzehnte später an einem Punkt angelangt, an dem alle nur mehr das Gleiche wollen. Die Altersstruktur der Gesellschaft sei "vollkommen durcheinander geraten", hatte Claudius Seidl bereits vor zehn Jahren in seinem ersten Generationenbuch Gnadenlos glücklich festgestellt. Damals ging es um die Dreißigjährigen. Bald wird es um die Fünfzigjährigen gehen. (Der Standard, Printausgabe, ALBUM, 9./10. 04. 2005)