Es ist ein Jahr her, dass Slobodan Milosevic einen internationalen Friedensplan abgelehnt und eine Terrorkampagne verschärft hat, die bis dahin schon Hunderte Kosovo-Albaner das Leben gekostet und mehr als 200.000 aus ihren Häusern vertrieben hatte. Seine neue Offensive, die einsetzte, als die Friedensverhandlungen noch im Gange waren, machte schließlich mehr als eine Million Kosovaren zu Flüchtlingen und zog eine Spur von verbrannten Dörfern, Vergewaltigungen, Mord und ethischen Säuberungen.

Die Reaktion Präsident Clintons und seiner Nato-Partner war energisch und dank ihrer Konsequenz erfolgreich. Die Mehrzahl der Vertriebenen sind inzwischen in ihre Häuser zurückgekehrt. Gemeinden werden wieder aufgebaut. Die Kinder gehen wieder zur Schule. Mit internationaler Hilfe ist der Kosovo zum großen Teil wieder sicher geworden und bereitet sich auf die ersten demokratischen Wahlen seiner Geschichte vor.

Rückzugs-Risiko

Wie schon während des Krieges, besteht die größte Herausforderung nun darin, den Frieden zu sichern. Das stellt sich, wie zu erwarten war, als eine kostspielige und schwierige Aufgabe heraus. Der Weg von Konflikt zu Kooperation ist nicht über Nacht zu bewältigen. Aus dem Kongress (der USA, Anm.) sind ungeduldige Stimmen zu hören, die meinen, wir sollten besser aufgeben, unsere Brieftaschen wegstecken und unsere Truppen nach Hause rufen. Doch die Kosten und Risiken eines Rückzugs sind bei weitem größer als jene, die mit der Aufrechterhaltung eines stabilen Kosovo verbunden sind.

Die Geschichte lehrt uns, dass Amerika nicht sicher sein kann, wenn Europa nicht sicher ist, und wiederholt haben uns die Ereignisse in Erinnerung gerufen, dass Europa nicht sicher sein kann, solange der Balkan von Konflikten zerfressen wird. Solange es Milosevic gibt, bleibt die Region ein Pulverfass. Wenn wir gehen, kommt mit Sicherheit das gewaltige Blutvergießen wieder zurück.

Überdies ist der Preis des Durchhaltens erschwinglich, und die Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg sind überwindbar.

Während des Kalten Krieges hatten wir fast 400.000 Truppen in Europa stationiert. Heute haben wir rund 100.000, davon ungefähr 6000 im Kosovo. Diese Truppenpräsenz ist dem Interesse Amerikas in der Region sicherlich angemessen.

Außerdem hat sich Europa verpflichtet, den Großteil der Last im Kosovo mitzutragen. Die Mitglieder der Europäischen Union haben 64 Prozent der internationalen Truppen beigesteuert und Hunderte Millionen Dollar für humanitäre und Wiederaufbauhilfe zur Verfügung gestellt.

Wir stellen weniger als 15 Prozent der gesamten Truppen und weniger als 15 Prozent der nichtmilitärischen Kosten bereit, um dem Kosovo zu helfen, sich vom Krieg zu erholen und Stabilität aufzubauen. Es gibt Vorschläge im Kongress, einen 15-Prozent-Anteil an diesen Kosten zu einer gesetzlichen Höchstgrenze zu machen. Eine solches Limit würde jedoch unsere Möglichkeit, Europa zur Mithilfe zu bewegen, einschränken und nicht erhöhen. Es würde uns einen Teil der Flexibilität nehmen, auf zukünftige Ereignisse zu reagieren.

Und es würde bedeuten, das Interesse Amerikas an unserer Partnerschaft mit Europa, die sich über das eigentliche Europa hinaus erstreckt, zu unterschätzen.

Hilfe aus Europa

Nachdem der Hurrikan "Mitch" unsere Hemisphäre (die westliche, Anm.) heimgesucht hatte, kamen mehr als 60 Prozent der bilateralen Hilfsangebote aus Europa. Europa hat sich auch an den Friedensprojekten in El Salvador und in Guatemala mit 33 bzw. 34 Prozent beteiligt.

Die Befürworter eines Rückzugs aus dem Kosovo weisen auf dortige jüngste Vorfälle ethnischer Gewalt hin. Wir teilen diese Bedenken, und internationale Behörden ergreifen entsprechende Maßnahmen, indem sie Ressourcen mobilisieren, die Sicherheit verstärken und Extremisten aufdecken und entwaffnen.

Aber die Probleme sollten den Fortschritt insgesamt nicht überschatten. Unter der Führung der Vereinten Nationen wurde ein Gemeinsamer Interims-Verwaltungsrat geschaffen, im Rahmen dessen die Parteien im Kosovo beginnen können, Verantwortung für die Verwaltung ihrer Region zu übernehmen. Die ethnische albanische Miliz hat ihre Verpflichtung zur Demobilisierung eingehalten. Die Mordrate im Kosovo ist jetzt niedriger als in vielen amerikanischen Städten. In großen Teilen der Region ist die Stimmung gut, und die Menschen sind ehrlich darum bemüht, für sich ein besseres Leben zu schaffen.

Tiefe Entfremdung

Die Entfremdung zwischen den Kampfparteien im Kosovo ist sehr tief. Die großen Lücken bei Polizei, Staatsanwälten und Gerichten wurden noch nicht geschlossen. Und die Gefahr, dass verärgerte Personen zu Störfaktoren werden können, ist weiterhin groß. Wenn unsere Reaktion auf jeden Rückschlag jedoch darin besteht, uns zurückzuziehen, wird eine gefährliche Welt sehr schnell noch gefährlicher werden.

Wir verlangen von niemandem im Kosovo, auf seine rechtmäßigen Interessen zu verzichten. Vielmehr erwarten wir von den Menschen dort, ihre Interessen durch Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft und durch Teilnahme an den gemeinsam entstehenden Regierungsstrukturen weiterzuverfolgen. Mit Zeit und genügend Unterstützung werden sich die kühleren Köpfe auf allen Seiten durchsetzen. Vielleicht - oder vielleicht auch nicht - entwickelt sich ein Gefühl einer interethnischen Gesellschaft; eine pragmatische Koexistenz ist jedenfalls eindeutig möglich.

Vielleicht kommt der Tag, an dem eine Operation in der Größenordnung des Kosovo ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten in den Griff zu bekommen ist. Noch ist es nicht so weit. Wenn wir durch schlecht konzipierte Gesetze gezwungen werden, den Kosovo zu verlassen oder unsere zugesagten Ressourcen drastisch zu kürzen, werden es uns andere gleichtun, und die Funken eines erneuten Konflikts werden sich mit Sicherheit schnell wieder entzünden. Die Amerikaner sollten stolz sein, dass wir vor einem Jahr das Richtige getan haben, und zuversichtlich, dass wir, in Zusammenarbeit mit unseren Partnern und mit dem Ziel der Konsolidierung des Friedens, auch jetzt das tun, was richtig und klug ist.
Dieser Beitrag von US-Außenministerin Madeleine K. Albright erschien diese Woche auch in der "New York Times".