Bild nicht mehr verfügbar.

Nach der Parlamentsdebatte: Türkische Abgeordnete unterzeichnen eine Erklärung gegen den Völkermordvorwurf.

Foto: Reuters
Es war eine Stunde des nationalen Commonsense. Als der türkische Außenminister Abdullah Gül diese Woche ans Rednerpult des Parlamentes trat, waren sich Regierung und Opposition so einig wie noch nie seit dem Amtsantritt der islamisch-konservativen Regierung Tayyip Erdogan. Es ging um eine nationale Antwort der Türkei auf den immer stärker werdenden Druck von außen, sich zu einem der dunkelsten Kapitel in der ausgehenden Geschichte des Osmanischen Reiches zu bekennen.

Die Türkische Republik, als Rechtsnachfolgerin des Imperiums der osmanischen Sultane, soll den Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915-1917 anerkennen, so fordert nicht mehr nur die weltweit aktive armenische Diaspora, unterstützt von Frankreich, wo ein großer Teil der Auslandsarmenier lebt, und der russischen Duma. Die Armenienfrage ist EU-weit zu einem Instrument in der politischen Auseinandersetzung um einen Beitritt der Türkei zur Union geworden. Nach wie vor lehnt die Türkei jedoch die Charakterisierung der damaligen Vertreibungen, Deportationen und Massaker an der armenischen Minderheit als Völkermord strikt ab.

"Wir appellieren an alle Parlamente innerhalb der EU, vor allem an Deutschland, wo ein entsprechender Antrag der CDU in der kommenden Woche im Bundestag diskutiert werden soll, von der Wertung der Gräueltaten als Völkermord Abstand zu nehmen", rief Gül in den Saal und konnte sich des Beifalls aller Abgeordneten sicher sein. "Alle diese Anträge verletzten uns und führen in der türkischen Öffentlichkeit dazu, die Absichten von verbündeten Ländern mit Fragezeichen zu versehen." Stattdessen forderte Gül, ein Urteil über die Geschichte denjenigen zu überlassen, die dazu berufen seien.

Einstimmig verabschiedete das Parlament deshalb eine Entschließung, in der die Bildung einer gemeinsamen armenisch-türkischen Historikerkommission gefordert wird, die ohne Einschränkungen in den jeweiligen nationalen Archiven recherchieren können soll. Dem Urteil einer solchen Kommission, so versprach dann Premier Erdogan, werde die Türkei sich ohne zu zögern stellen. Noch diese Woche will die Armee mehrere Hundert Dokumente aus ihren Archivbeständen freigeben, meldeten türkische Medien am Donnerstag.

Es ist das erste Mal in der Geschichte der türkischen Republik, dass die Vorhaltungen der armenischen Seite nicht entweder nur brüsk zurückgewiesen oder gleich ganz ignoriert wurden. Gül räumte im Parlament ein, dass die Türkei viel früher darauf hätte reagieren müssen. "Leider haben wir die notwendigen Hausaufgaben nicht gemacht und dies hat zu dem falschen Eindruck geführt, dass die Türkei etwas zu verbergen hat." Das aber, so Premier Erdogan, sei ganz und gar nicht der Fall. "Es gibt in der Geschichte der Türkei kein Kapitel, dessen wir uns schämen, das wir verdrängen, vergessen oder vertuschen müssten."

Starke Worte, die nicht zuletzt dazu dienen, sich nach innen Mut zu machen. Denn kurz vor dem 90. Jahrestag des Beginns der Deportationen, dem 24. April 1915, und angesichts der lauter werdenden Forderungen aus fast allen EU-Staaten, ein Schuldeingeständnis abzugeben, legt die politische Elite der Türkei sich erneut in einer Weise fest, die eine Revision des eigenen Geschichtsbildes sehr erschwert. Wortführer der heute vielleicht 100.000 Armenier in der Türkei plädieren indes für einen ersten Schritt zur Normalisierung - die Öffnung der Grenzen zwischen beiden Ländern. Handel und politischer Dialog, so sagen sie, wird eine Klärung der Vergangenheit leichter machen.