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Foto: APA/EPA/Fedouach
Möglicherweise wird Herr Poiares Maduro bald ein Ehrenplatz in den Räumlichkeiten der neoliberalen Wirtschaftslobbyisten bekommen. Dabei verfolgt der Generalanwalt nur konsequent die Linie, die der Europäische Gerichtshof in den letzten Jahren vorgegeben hat. Und die heißt: Der "heiligen Kuh" Binnenmarkt sind alle anderen Interessen unterzuordnen. Auch wenn das weitere Milliardenlöcher in die Budgets der EU-Mitgliedsstaaten reißt und den innereuropäischen Steuerwettlauf nach unten anheizt.

EuGH untergräbt nationale Steuerbasis

Hinter der harmlos klingenden Aktenzahl C-446/03 verbirgt sich eine kleine steuerpolitische Bombe, die einiges an gesellschaftlichen "Kollateralschäden" hinterlassen dürfte. Zu den Fakten: Das britische Traditionsunternehmen Marks&Spencer klagte vor einem englischen Gericht, da es die Verluste seiner Auslandstöchter nicht mit den Gewinnen der englischen Mutter verrechnen durfte. Laut Marks&Spencer verstoße das englische Gesetz gegen die Niederlassungsfreiheit und sei daher europarechtswidrig. Das englische Gericht reichte den Fall zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof weiter. Am 7. April verkündetet der mit dem Fall befasste Generalanwalt Maduro seine Empfehlung: "Die Regelung eines Konzernabzugs, die einer Muttergesellschaft in keinem Fall erlaubt, die Verluste ihrer Tochtergesellschaften mit Sitz im Ausland abzuziehen, ist nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar." Diese Empfehlung bringt die Mehrheit der EU-Finanzminister ins Schwitzen, denn mit wenigen Ausnahmen ähneln die Regelungen der Mitgliedsstaaten jenen des englischen Fiskus. Einige "Steueroptimierungskonzerne" reiben sich bereits die Hände, denn eine Klagewelle wird erwartet. Allein in Deutschland droht als Konsequenz des Urteils ein Steuerausfall von bis zu 50 Milliarden Euro.

Österreich als Musterschüler beim Steuerdumping

Auf diese EU-Ausnahmefälle Italien, Frankreich und Österreich beruft sich Marks&Spencer in seiner Klage auch explizit. Sollten die Luxemburger RichterInnen im Herbst der Empfehlung des Generalanwalts folgen, was sehr wahrscheinlich ist, dann wäre die österreichische Regelung im Einklang mit diesem Urteil. Und Österreich einmal mehr Vorreiter beim Steuerdumping, was wenig überraschend kommt. Hat doch "Upgrader" und Finanzminister Grasser in seiner etwas widersprüchlichen Art und Weise zum "Downgrading" bei Unternehmenssteuersätzen aufgerufen, als er bereits im Februar 2004 als persönliche Zielgröße einen Körperschaftssteuersatz von 15 Prozent verlautbarte.

Der finanzpolitische Referent der Industriellenvereinigung fürchtet bereits um den "schönen Standortvorteil", der durch die seit Anfang des Jahres geltende Gruppenbesteuerung besteht. So ist es beispielsweise für deutsche Konzerne unter den derzeitigen Rahmenbedingungen interessant, Österreich als Brückenkopf für die Expansion in den Osten zu nutzen. Denn Anfangsverluste von Töchtern im Osten können gegen die Gewinne der österreichischen Mutter verrechnet werden. Mit einer deutschen Mutter würde diese "Steueroptimierung" nicht funktionieren. Da aber auch der deutsche Fiskus beim Wettrennen um die günstigsten Bedingungen für Konzerne nicht nachstehen will, hat er bereits angekündigt, nachzuziehen.

Gemetzel bei den Unternehmenssteuern

Es ist einleuchtend, dass bei diesem Spiel "jeder gegen jeden" am Ende (fast) alle verlieren. Das hindert die Wirtschaftskammer nicht daran, großflächig "Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut" zu plakatieren und damit Stimmung für eine weitere Senkung der Unternehmenssteuern zu machen. Vielleicht sollte die Interessensvertretung der Wirtschaft (welcher eigentlich?) eine zweite Plakatserie machen, die da lautet: "Geht´s der Wirtschaft gut, zahlen Konzerne keine Steuern".

Wenn mangels Steuerleistung von Konzernen die Löcher im sozialen Netz noch größer werden und die BürgerInnen kein Recht mehr auf öffentlich finanzierte Leistungen haben, dann dürfen sie zunehmend auf den Goodwill von Konzernen hoffen. Laut betriebswirtschaftlicher Logik haben die ja großes Interesse daran, dass es den MitarbeiterInnen gut geht, weil sie dann produktiver arbeiten.

Wettbewerbsnachteil CSR

Womit wir beim zweiten brisanten Aspekt des Marks & Spencer-Falls wären. Denn ausgerechnet der britische Konzern galt lange Zeit als ein Unternehmen, das das Konzept der Gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (CSR) nicht nur als PR-Gag sah. Als Gründungmitglied der Ethical Trading Initiative versuchte man gemeinsam mit NGOs und Gewerkschaften, die Bedingungen, unter denen die Marks & Spencer-Produkte hergestellt wurden, schrittweise zu verbessern. Festzuhalten ist, dass die Einsicht erst nach einer Kampagne von den führenden englischen NGOs und dem daraus resultierendem öffentlichen Druck Mitte der 90er kam.

Doch offenbar zog das Verkaufsargument kaum, denn die kleinen Teilerfolge, die im Rahmen der CSR-Aktivitäten erzielt wurden, wurden von den KonsumentInnen nicht gewürdigt und die Konkurrenz, die unter "normalen" Bedingungen (Gewerkschaftsverbot, Kinderarbeit) arbeiten ließ, verdrängte Marks & Spencer zunehmend vom Markt.

Harmonisieren statt ruinieren

Anstatt aktiv Steuervernichtung zu betreiben, sollten die EU-Komission und die Mitgliedsstaaten an einer Vereinheitlichung der Unternehmensbesteuerung mit einer einheitlichen Bemessungsgrundlage und europaweiten Mindeststeuersätzen arbeiten. Wer einen integrierten Binnen- und Kapitalmarkt ohne vereinheitlichte Unternehmenssteuern konstruiert, ist entweder bescheuert oder nimmt bewusst das Scheitern der europäischen Integration in Kauf.

Best Practice als gesetzliche Norm festschreiben

Damit CSR mehr ist als ein PR-Gag, braucht es andere Anreizstrukturen. Die CSR-Avantgardisten unter den Unternehmen müssen belohnt werden, indem ihre Best Practice zum gesetzlich festgeschriebenen Standard wird. Die Konkurrenz müsste nachziehen, diesmal allerdings nicht nach unten – sondern nach oben...