ARD-Showmaster Harald Schmidt ist bekanntlich dazu übergegangen, Deutschland jene Aufbruchstimmung zu verordnen, die wenigstens er selbst empfinden muss, wenn er seine
Kontoauszüge einer genauen Prüfung unterzieht. Immer schon wird vom Phänomen des Wohlstands so
gehandelt, als ob er eine allgemeine Erscheinung wäre: Dabei kennen ihn nur die
allerwenigsten aus eigener Anschauung.
Auch sonst fungiert das Fernsehen als Generator trügerischer Erscheinungen. Da erzählte auf Puls TV unlängst "Barbarella" Nina Proll, dass sie demnächst Weill-Lieder zu singen beabsichtige, und führte, als ob dieses Ansinnen nicht ausreiche, eine "Busenfreundin", Adriana Zartl mit sich, deren Begabung mit dem Hinweis auf ihre Funktion als "Wiener Party-
Girl" vollauf erschöpft schien. Oder hat sie nicht gar einmal auf Pro Sieben das Wetter moderiert?
So viel Aufbruchstimmung war nie: Auf dem sensiblen Markt der Zicken und Luder werden mit dem
Hinweis auf die Befähigung zum Abfeiern Symbolwerte geschöpft, die wie Monopolygeld kursieren.
Mag im Unterbau der Gesellschaft auch das Gespenst der Armut rumoren: Auf die Partylaune unserer Gesellschaftsdamen ist Verlass. Hier setzt sich, Gesetzen zufolge, die seit
Marx gelten, dafür aber auch umgedreht wurden, verlässlich der (kosmetisch nachgebesserte) Oberbau gegenüber der schweigenden Basis durch. – Mediengesellschaften sind "selbst
erreglich", so Peter Sloterdijk. (poh/DER STANDARD; Printausgabe, 16./17.4.2005)