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Adolf Holl wird Sixtus VI.
Wie lange wird dieses fromme Theater noch weitergehen? Eine Mittelstreckenrakete würde genügen, um die grandiose Kulisse des Vatikans wegzuputzen. Civitas septicollis diruetur, heißt es in der Weissagung des heiligen Malachias. Die Siebenhügelstadt wird zerstört werden. Möglicherweise zur Zeit meines Pontifikats. Das sind keine besonders schönen Aussichten ...
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Die erste Frage an einen neuen Papst ist die nach dem Namen, unter dem er regieren möchte. Erwartet wird, dass er diesbezüglich ein wenig nachgedacht hat, auch wenn er mit seiner Wahl überhaupt nicht gerechnet haben sollte. Ohne Mitnahme einer offiziellen Papstliste sollte kein Kardinal ins Konklave gehen.
Sixtus VI. möchte ich mich nennen, Sisto Sesto auf Italienisch, was gut über die Zunge geht. Und siehe. Schon schwebt einer der Seraphim-Engel auf mich zu, mit einer glühenden Kohle, und berührt mit ihr meine Lippen. Damit ich mir nicht als Papst den Mund verbrenne. Ich aber sage: Adolphum rejicite, Sixtum recipite. Vergesst mein früheres Ego, ab sofort bin ich Sisto und wer weiß, was dem noch alles einfallen wird.
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Die Firma hat sich nach meinem Willen zu richten. Jeder Besucher, den ich empfange, muss im Vatikanblatt abgedruckt werden. Meine Reden werden von Radio Vatikan in drei Sprachen rund um die Uhr ausgestrahlt. Das Anlagevermögen der Firma, ein paar Milliarden Dollar werden es schon sein, ist in den Computern der Hausbank gespeichert, im Stockwerk unter meinen Amtsräumen. Dort wird auch mein persönliches Konto geführt, wenn ich ein wenig Taschengeld brauchen sollte, für ein paar Moreshi-Schuhe oder eine Cartier-Brille. Die Schweizergarde sorgt für meine Bewachung, ein Leibarzt für meine Gesundheit, ein Kammerdiener für meine Unterhosen. Täglich kommt eine Mappe mit den vorprogrammierten Audienzen auf den Tisch. Wenn ich sage, dass ich meine Ruhe haben möchte, fallen die Audienzen aus. Wenn mir der Kardinalstaatssekretär unsympathisch sein sollte, lasse ich ihn warten.
Mein einziges Problem mit der Kurie wird mein schlechtes Namensgedächtnis sein. Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, caro mio, werde ich sagen, wenn wieder ein Kurienkardinal zur Berichterstattung erscheint.
Ich bin der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Eure Heiligkeit. Aber natürlich. Entschuldigen Sie meine Vergesslichkeit. Möchten Sie einen Espresso? Mit oder ohne Milch?
Den Espresso mache ich lieber selber, auf einer Pavoni-Maschine. Zum Präfekten der Glaubenskongregation werde ich sagen: Besorgen Sie mir die besten Übersetzungen der Werke Ephräm, des Syrers (Kirchenschriftsteller, gest. 373) ins Deutsche. Und eine kommentierte Liste aller Fachleute, die über ihn gearbeitet haben. Das wird den Präfekten eine Weile beschäftigen.
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Die wöchentlichen General-audienzen fallen bis auf weiteres aus. Unermesslich ist das Versicherungsbedürfnis des Menschen, und schwer aufzulösen sein Respekt vor den Großen der Welt. Sistosesto hat "Masse und Macht" von Elias Canetti gelesen. Er will sich davor schützen, die Menschen verachten zu müssen, weil etliche zehntausend von ihnen immer wieder unter den Fenstern seines Palastes darauf warten, dass er sich ihnen zeigt. Ab und zu nur, und niemals zur selben Zeit, wird er das berühmte Fenster aufmachen und auf den Petersplatz hinunterschauen. Dann werden die Leute zu winken anfangen, und er wird zurückwinken. Vielleicht holt er dann seine Brieftaube aus dem Käfig und lässt sie fliegen, nach Castelgandolfo. Die Taube kennt den Weg. Auf dem Zettel, den sie befördert, stehen ein paar freundliche Zeilen an die Dame, die dem Herzen des Heiligen Vaters nahe steht. Sie wohnt in Castelgandolfo, mit den Katzen, die Sistosesto zweimal täglich gefüttert hat, als er noch in Wien lebte. Zu Hunden hat Sistosesto kein besonders nahes Verhältnis. Sie sind ihm zu laut.
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Nach Castelgandolfo ist es nicht weit. Die Polizei fährt mit Blaulicht voraus, und wenn ich anhalten lasse, um eine Grappa zu trinken, gibt es eine kleine Turbulenz, wie sie die Italiener lieben. In Castelgandolfo schwimme ich eine halbe Stunde im päpstlichen Pool, gleich nach dem Aufstehen. Dann lasse ich mich zu den griechisch betenden Mönchen nach Grottaferrata hinüberfahren, um ihrer Liturgie beizuwohnen. Die dauert ein Weilchen, und bis ich wieder zurück bin, geht es gegen Mittag. Nach der Siesta muss ich dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt, in die Firma, aber nur für zwei oder drei Stunden. Ronald Reagan hat auch nicht viel gearbeitet.
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Auf mein Briefpapier muss wie üblich ein Wappen kommen, mit einem Spruch. In das Wappen wünsche ich mir eine goldene Sonne und einen silbernen Mond, über blauem Wasser. Der Spruch lautet: Solve et coagula.
Er ist einem alchemistischen Schmöker entnommen und soll an das Meisterstück erinnern, dessen Gelingen mir vorschwebt. Die Sache, um die es geht, muss zuerst einmal verflüssigt, aufgelöst werden, damit sie dann zu einer Gestalt finden kann, die vorher nicht möglich war.
Sistosesto denkt im übrigen nicht daran, seine Freundschaften aus der Zeit vor dem Pontifikat einschlafen zu lassen. Mindestens zehn Gästezimmer wünscht er sich in Catelgandolfo, und eine Sauna wäre auch keine schlechte Idee ...