Foto: Yale University
Das Ziel der kommunistischen Revolution war die Konzentration des staatlichen Eigentums am Kapital. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde die Welt dann von einer Konterrevolution erfasst, die das Gegenteil wollte: Eine möglichst breite Kapitalstreuung an der jeder als Eigentümer teilhaben sollte. Momentan wird diese Konterrevolution bis ans Extrem vorangetrieben: Wenn jeder Eigentümer sein kann, dann kann auch jeder Kapitalist sein, Butler, Bäcker, Kellnerin, der Mann von der Müllabfuhr. Wieder geht ein Gespenst um: Diesmal das der echten Demokratisierung des Kapitalismus.

Aus jedem Menschen einen Kapitalisten zu machen, könnte allerdings ebenso scheitern, wie das Vorhaben, jeden Menschen in einen emsigen sozialistischen Werktätigen zu verwandeln. Die Vorstellung, dass die Massen zu Eigentümern werden, fällt überall auf fruchtbaren Boden. In Großbritannien beispielsweise ventiliert Tony Blair die Vision einer "Nation der Sparer und Asset Holder". In den USA ist Präsident George W. Bushs Traum die "Eigentumsgesellschaft". In China definierte der Volkskongress im Jahr 2004 Unternehmer und Eigentümer als "Erbauer der sozialistischen Sache".

Mancherorts wird davon gesprochen, dass Menschen über ihre Sozialversicherungsbeiträge in Form eines persönlichen Rentenkontos verfügen sollen, ihre Gesundheitsvorsorge über Gesundheitssparkonten betreiben und für ihre Bildung in Form von Bildungssparkonten und Bildungsschecks Sorge tragen sollen.

Experiment

Dabei handelt es sich um den Versuch einer wirklichen Revolution. Es ist ein Experiment mit neuen ökonomischen Institutionen, die es noch nie zuvor gegeben hat. Es gibt zahllose Vorstellungen, wie sie vonstatten gehen soll. Revolutionen sind immer Experimente und stets auch Abenteuer.

Bushs Plan für eine Reform der Sozialversicherung in den USA - zumindest was davon bekannt wurde - ist der Gipfel. Alle jungen Menschen, die sich für diesen Plan entscheiden, werden zum Zeitpunkt ihrer Jahrzehnte in der Zukunft liegenden Pensionierung anstelle der herkömmlichen staatlichen Rente die Erträge ihrer persönlichen Rentenkonten bekommen, für die sie aus einer Reihe von Anlagen, einschließlich Aktien, frei wählen konnten. Die Rentner wären für den Großteil ihres Einkommens auf die Gnade der Märkte angewiesen. Das könnte sich sehr gut entwickeln, wenn sich die Menschen vernünftig verhalten und/oder der Aktienmarkt sich ständig nach oben entwickelt.

Aber auch das Risiko eines Desasters erhöht sich aufgrund der anscheinend dem Menschen innewohnenden Neigung, Erträge aus der Vergangenheit hochzurechnen. Die Investoren könnten eine Aktienmarktblase schaffen und noch mehr naive Anleger verleiten. Damit verbunden besteht das Risiko, dass diese privaten Konten zu einer weiteren Senkung der persönlichen Sparquote führen werden. Diese ist der Lebensnerv jeder Volkswirtschaft, denn es kann nicht erwartet werden, dass Kapitalinvestitionen ewig aus dem Ausland finanziert werden. Aber das ganze Gerede von fantastischen Erträgen könnte "Neigung zu Wunschdenken" verursachen. Die Menschen glauben, ihre persönlichen Konten wären in Zukunft so wertvoll, dass Ersparnisse außerhalb dieser Konten unnötig seien.

Der Besitz von Kapital ist mit Risiken verbunden

Die Förderung des breit gestreuten Kapitaleigentums könnte zu guten politischen Strategien führen. Möchten wir diese allerdings wirklich auf Renten, Gesundheits- und Bildungswesen ausdehnen? Immerhin ist der Besitz von Kapital mit Risiken verbunden und die Erfordernis, sich gegen diese Risiken zu abzusichern ist der Grund, warum kapitalistische Länder ihre Sicherheitsnetze aufbauten. Revolutionen sind aufregend, aber wir müssen sicherstellen, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, wenn alles einstürzt und sich der Staub legt. (Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Project Syndicate, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24.4.2005)