Wien - Vom ehemaligen "Hinter(labor)zimmer-Dasein" zum strategisch wichtigen Forschungs-Brennpunkt in Sachen Biotech: Während die Immunologen ehemals eher im sprichwörtlich Verborgenen arbeiteten, sind sie und ihr Fachgebiet in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem entscheidenden Angelpunkt in der biomedizinischen Forschung geworden. Am kommenden Freitag (29. April) wird in ganz Europa auf Anregung der Föderation der Immunologischen Gesellschaften der Tag der Immunologie begangen.

"Nach viel versprechendem Beginn wanderten viele der ersten Spezialistengeneration in die USA aus. Erst in den vergangenen Jahren haben Wissenschaft und Gesellschaft erkannt, dass das Abwehrsystem ein ganz wichtiges Organsystem darstellt", erklärte die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie, die Innsbrucker Altersforscherin Univ.-Prof. Dr. Beatrix Grubeck-Loebenstein aus Anlass der Veranstaltungen.

Hintergrund

In Europa arbeiten rund 17.000 Immunologen. Es gibt 28 Fachgesellschaften. Ob Impfungen, Autoimmunerkrankungen wie Gelenksrheuma, Morbus Crohn, Diabetes, Abwehrschwächen, Krebs, Allergien, Psoriasis, Neurodermitis oder Atherosklerose (Gefäßverkalkung) - die Immunologie des Betroffenen spielt immer mit. Das gilt auch für Infektionskrankheiten, bei denen es ja individuell auch darauf ankommt, ob der Betroffene krank wird oder nicht bzw. wie sehr er krank wird.

Internationale Anerkennung

Auch Österreich mischt auf dem Fachgebiet mit. Grubeck-Loebenstein: "Für die Kleinheit unseres Landes haben wir sehr gute Arbeitsgruppen. Es gibt zwar nur ein immunologisches Institut in Wien, aber es existieren in den verschiedensten Fachgebieten Teams, die international anerkannt sind."

Dazu zählen zum Beispiel verschiedene Forschergruppen auf dem Gebiet der Rheumatologie. Andere Teams wiederum untersuchen angeborene Immunschwächeerkrankungen. Sowohl an den Universitäts-Hautkliniken als auch im Bereich der Pathologie beschäftigt man sich immunologischen Fragestellungen, die bis hin zu Allergie- und Krebsimpfstoffen gehen.

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Immunologische Forschung hat in Österreich eine lange Tradition, die bis zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert zurückreicht. "Herausragende Forscher dieser Periode waren Karl Landsteiner, der Entdecker der Blutgruppen und spätere Nobelpreisträger, und Clemens von Pirquet, der Begründer der Allergielehre", erklärte der österreichische Experte und Ehrenpräsident der österreichischen Fachgesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Othmar Förster.

Mit dem enormen Aufschwung der immunologischen Forschung seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erwachte auch die Österreichische Immunologie aus einem kriegs- und nachkriegsbedingten Dornröschenschlaf, 1971 wurde die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) gegründet.

Neue Erkenntnisse

Bahnbrechend waren in den vergangenen Jahrzehnten die neuen Erkenntnisse über die Funktion der Abwehrzellen (T-Zellen, dendritische Zellen) etc. Hinzu kommt, dass praktisch alle neuen Gentech-Medikamente auf der Grundlagenforschung der Immunologen beruhen. Dazu gehören die monoklonalen Antikörper (1975 wurde für sie erstmals ein Produktionskonzept beschrieben) und die vielen Immunmodulatoren. Die "targeted therapy", also die zielgenaue Behandlung von Krebs und Autoimmunerkrankungen erfolgt fast ausschließlich immunologisch.

Forschung in Österreich: Immunologie und rheumatische Erkrankungen

Viele entzündlich-rheumatische Erkrankungen, insbesondere die schwersten und zum Teil tödlichen unter diesen Krankheiten, sind durch Autoimmunität gekennzeichnet, also durch eine Umlenkung der Abwehrvorgänge gegen körpereigene Strukturen. Rheumatologisch-immunologische Forschung an der Medizinischen Universität in Wien, Innsbruck und Graz hat im vergangenen Jahrzehnt vielfältige neue Therapien entwickelt, die das Krankheitsgeschehen unter Kontrolle bringen können.

Allergien

Mit Hilfe der genetischen Immunisierung werden neue Impfstoffe zur Prävention und Therapie von Typ I Allergien im Rahmen eines FWF-Schwerpunktes "Allergie" entwickelt. Hier sind speziell Wissenschafter in Salzburg und in Wien tätig. In Salzburg wurde zum Beispiel ein DNA-Vakzin entwickelt. In Wien geht es um gentechnisch veränderte Allergene als Impfstoff gegen Allergien.

Eine Verminderung der Magensäure kann zur Bildung von IgE-Immunglobulinen gegen Nahrungsproteine führen und Allergie auslösen. Dies belegen aktuelle Studien aus dem Team um Univ.-Prof. Erika Jensen-Jarolim am Institut für Pathophysiologie der Medizinischen Universität Wien. Eine positive Anwendung dieses Mechanismus zeichnet sich auch bei Tumorerkrankungen ab. Die Arbeitsgruppe verfolgt das Ziel, IgE Antikörper aktiv gegen Proteine an Tumoren zu richten um eine - in diesem Fall erwünschte - Immunabwehr zu erzielen. Tatsächlich konnte in Mäusen durch Fütterungen mit dem Brustkrebsprotein Her-2/neu unter gleichzeitiger Säureunterdrückung bereits IgE gegen Tumorzellen induziert werden. Ob diese Schluckimpfung das Überleben brustkrebserkrankter Mäuse verlängern kann, wird derzeit überprüft.

Tumorimpfungen bei Kindern

Während der vergangenen Jahre wurde das Immunsystem zu einem Hoffnungsträger in der Krebsbehandlung. Im St. Anna Kinderkrebsforschungsinstitut in Wien beschäftigen sich das Labor für Tumorimmunologie und eine ausgegliederte Biotechnologiefirma, die I-Med Krebsimmuntherapie GmbH, mit der Entwicklung neuer immunologischer Ansätze zur Behandlung von Krebserkrankungen.

Angeborene Abwehrschwäche

Mit den angeborenen Störungen der Immunabwehr beschäftigen sich Fachleute an der Immunologischen Tagesklinik in Wien. Sie veranstaltet am 29. April einen Tag der Offenen Tür.

Immunologie im Alter

Die Funktion des Immunsystems nimmt im Alter ab. Folgen sind das gehäufte Auftreten und der oft schwere Verlauf von Erkrankungen, im Besonderen Infektionskrankheiten und Tumorerkrankungen, sowie schlechtes Ansprechen auf Impfungen. Dieses Nachlassen der Immunfunktion im Alter ist primär auf einen Funktionsverlust der T-Lymphozyten zurückzuführen. Studien am Institut für Biomedizinische Alternsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck haben gezeigt, dass die Zahl der naiven T-Zellen abnimmt, die der Gedächtnis- und Effektor-T-Zellen hingegen zunimmt. Insgesamt kommt es zu einem schlechteren Ansprechen auf neue Signale, die zu einer Abwehrreaktion führen sollten.

Impfungen

Malaria tötet weltweit jährlich mehr Menschen als jede andere meldepflichtige Krankheit mit Ausnahme der Tuberkulose. Trotz jahrzehntelanger intensiver Forschungsarbeit existiert bis jetzt keine Schutzimpfung. Im Rahmen eines Hertha-Firnberg Stipendiums des FWF wurde an der Universität Salzburg ein Impfstoff entwickelt, der im Tiermodell gegen eine Infektion mit Malaria-Erregern kompletten Schutz erzielt. Auch dabei handelt es sich um einen Plasmid-DNA-Impfstoff.

Am Wiener AKH wird derzeit ein neuer Impfstoffe gegen Papilloma-Virus-Infektionen erprobt. Er soll Frauen gegen Genitalwarzen und Gebärmutterhalskrebs schützen.

Monoklonale Antikörper

Das Institut für Immunologie der Medizinischen Universität Wien ist weltweit eines der ersten Institute, das sich mit der Technologie der Herstellung von monoklonalen Antikörper beschäftigt hat und trägt durch seine Aktivitäten auf diesem Gebiet wesentlich zur Charakterisierung und Standardisierung von Oberflächenmerkmalen von Zellen des Immunsystems bei.

PNS

Paraneoplastische neurologische Syndrome (PNS) sind seltene Erkrankungen, deren Ursache heute im Wesentlichen aufgeklärt ist: eine Abwehrreaktion des körpereigenen Immunsystems gegen eine - zu diesem Zeitpunkt häufig noch unerkannte - Krebserkrankung wird fehlgeleitet und richtet sich gegen das Nervensystem, wodurch zum Teil dramatische Symptome (Lähmungen, Sehstörungen) hervorgerufen werden. Das neuroimmunologische Labor des Klinischen Instituts für Neurologie der Medizinischen Universität Wien am AKH ist das einzige Labor in Österreich, wo PNS diagnostiziert und schwerpunktmäßig erforscht werden.

Angewandte Forschung bei Novartis

Die Grundlagen für innovative Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen und chronische Entzündungen sollen biomedizinischen Forschungsinstitut des Pharmakonzerns Novartis entwickelt werden. Zuletzt wurde dort mit Pimecrolimus ein neues Arzneimittel gegen die Neurodermitis "erfunden", das bereits weltweit eingesetzt wird. (APA)