Istanbul - Wie ein strenger Lehrer sah Mustafa Bumin aus in seinem schwarzen Talar. Und genau so wollte der Präsident des türkischen Verfassungsgerichtes wohl auch wirken, als er in einer Rede zum Gründungsjubiläum seines Gerichts die Regierung abwatschte. Eine Aufhebung des Kopftuchverbots an den türkischen Universitäten komme nicht in Frage, sagte Bumin, während Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf seinem Ehrenplatz in der ersten Reihe des Festsaales mit versteinerter Miene zuhörte.

Sollte Erdogans islamisch geprägte Regierungspartei AKP dennoch versuchen, das Kopftuchverbot zu lockern, riskiere sie wie andere islamistische Gruppierungen der Vergangenheit ein Parteiverbot, setzte Bumin noch eins drauf. Kein Wunder, dass die zur Feierstunde erschienenen MinisterInnen der AKP-Regierung dem Präsidenten des Verfassungsgerichts nach der Rede den Applaus verweigerten.

"Religiöse Gefühle für politische Zwecke ausgebeutet"

Erdogan wird derzeit von anti-islamistischen Kräften in die Zange genommen. Erst vor wenigen Tagen warnten die türkischen Militärs die Regierung davor, vom Pfad des Laizismus abzuweichen. Die Türkei sei kein "islamisches Land", auch wenn die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung moslemisch sei. Jetzt kam mit Bumins Rede der zweite Schlag. In der Türkei sei es leider einfacher als in westlichen Staaten, die religiösen Gefühle der Menschen für politische Zwecke auszubeuten, sagte der Verfassungsrichter. Doch dabei spiele die Justiz nicht mit.

Bumin und anderen Laizisten geht es beim Kopftuch nicht um den Schutz der Frauen vor Unterdrückung - die vielen Probleme türkischer Frauen in der Familie, im Bildungssystem oder in der Politik haben noch keinen Verfassungsgerichtspräsidenten zu einer Brandrede veranlasst. GegnerInnen der AKP im Staatsapparat, im Parlament und in der Öffentlichkeit verteidigen das Kopftuchverbot an staatlichen Institutionen und Universitäten deshalb so entschlossen, weil eine Freigabe des Kopftuchs nach ihrer Auffassung dem politischen Islam einen Sieg über die säkuläre Republik bescheren würde.

Argumente der AKP

Dagegen verweisen Erdogan und andere AKP-PolitikerInnen darauf, dass die Mehrheit der Türkinnen ein Kopftuch trägt, ohne staatsfeindliche Ziele damit zu verbinden. Im Wahlkampf hatte Erdogan versprochen, das Kopftuch-Problem zu lösen. Obwohl seine eigenen Kopftuch tragenden Töchter nicht in der Türkei studieren dürfen, hat sich Erdogan bisher jedoch mit Initiativen zurückgehalten, weil er vor allem an Fortschritten in der Europa-Politik interessiert war und keine Reibereien mit den Laizisten gebrauchen konnte. Seit der EU-Entscheidung zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei wird aber wieder verstärkt über das Kopftuch diskutiert.

AKP gibt Kampf nicht verloren

Diese Diskussion wollte Bumin nun mit seiner Warnung an die AKP beenden. Die Reaktionen auf die Rede zeigen aber, dass er das kaum schaffen wird. Erdogan und andere RegierungspolitikerInnen kritisierten den Verfassungsgerichtspräsidenten und deuteten an, dass sie den Kampf ums Kopftuch noch nicht verloren geben.

Der Ministerpräsident sprach von der Durchsetzung "universeller Rechte" und unterstrich am Tag nach Bumins Warnung demonstrativ die Entschlossenheit seiner Regierung, den demokratischen Reformprozess in der Türkei voranzutreiben: Erdogans GegnerInnen im Staatsapparat haben die AKP zwar an die Grenzen ihrer Macht erinnert, aber gleichzeitig auch daran, dass die Regierungspartei ihre Probleme am Besten mit einer entschiedenen Fortsetzung der Reformen lösen kann, die in letzter Zeit ins Stocken geraten waren.

Schwierig, Position zu halten

AKP-VertreterInnen erinnerten den Verfassungsgerichtspräsidenten deshalb daran, dass es in der EU kein einziges Land gebe, in der Studentinnen das Kopftuch an den Universitäten verboten sei. Mit einer Lösung wie in Frankreich könnte die AKP durchaus leben, sagt ein westlicher Diplomat in Ankara. Dort dürfen Schülerinnen an staatlichen Schulen kein Kopftuch tragen, an Privatschulen und Studentinnen an den Universitäten aber sehr wohl. Für türkische Laizisten geht selbst das zu weit. Doch wenn die Türkei auf dem Weg Richtung EU weiter Fortschritte macht, wird es Bumin und anderen immer schwerer fallen, eine begrenzte Kopftuchfreiheit abzulehnen. (APA)