Unter dem Titel "Achtung, Vereinnahmungsgefahr!" warnt die IG Autorinnen Autoren vor "ungewollten Einbindungen in politisch unerwünschte Zusammenhänge" und legt ein "Verzeichnis generellerer Missbrauchsmöglichkeiten künstlerischer Arbeit" vor. Am Beginn der Gefahrentabelle heißt es:
"Abgrenzungsprobleme gegenüber politischen Vereinnahmungsversuchen können sich ergeben: 1. Bei direkt von der Regierung oder im Auftrag der Regierung durchgeführten Veranstaltungen und Präsentationen (zum Beispiel: der Österreich-Pavillon bei der EXPO 2000 in Hannover, Arbeitstitel Kulturland Österreich, definitiver Titel: Österreich - Land der Lebenskunst vom 1.6. bis 31.10.2000)."
Ich schlief nicht ein. Bis halb zwei wälzte ich mich im Bett herum, schlich mich schließlich ins Wohnzimmer und begann am Mac zu schreiben. Denn tagsüber bin ich in den letzten Tagen und Wochen damit beschäftigt, durchaus berechtigte telefonische Anfragen von Freunden und AutorInnen zu beantworten, die da lauten:
Antworten auf berechtigte Anfragen
Wird von den derzeitigen Regierungsmitgliedern Einfluss auf das Kulturprogramm der EXPO ausgeübt? Antwort: "Nein". Wer ist aus dem Programm seit Regierungsantritt der FPÖ schon abgesprungen? Antwort: "Bis dato niemand." Welche Regierungsmitglieder werden bei Veranstaltungen in Hannover anwesend sein? Antwort: "Keine Ahnung. Ich könnte es nicht verhindern."
Dann erklärte ich meist, dass wir seit eineinhalb Jahren mit renommierten Kooperationspartnern in Hannover im Auftrag des EXPO-Büros, das damals während einer rot-schwarzen Regierung gegründet wurde, tätig sind und sich weder damals noch heute jemand in die Programmgestaltung eingemischt hat. Wie Biber stopfen wir tagtäglich an einem Damm kleine Löcher, der zu brechen droht und das überschwemmt, was seit etwa eineinhalb Jahren vorbereitet wurde: erstmals eine deutlich wahrnehmbare Form der Literaturpräsentation bei einer Weltausstellung umzusetzen.
Die Ironie der ganzen Sache liegt im Mechanismus, der entstanden ist. Die neuen Regierungsmitglieder machen uns keine Schwierigkeiten. Dagegen melden sich immer öfter AutorInnen, die sich versichern, dass sich die neue Regierung nicht einmischt und besorgt sind, instrumentalisiert zu werden. Anstatt dieser Sorge mit dem Argument zu begegnen, dass jede Gelegenheit genutzt werden soll, für ein offenes und liberales Österreich einzutreten, wird auf der Homepage des Literaturhauses in Wien vor "direkt von der Regierung oder im Auftrag der Regierung" durchgeführten Veranstaltungen gewarnt.
Der Leiter einer renommierten Kulturinstitution, die (berechtigt) regelmäßig Bundessubventionen in Anspruch nimmt und nehmen wird, erklärte mir am Telefon, dass er sie als Verein und von öffentlichen Stellen in Anspruch nimmt und nicht von der Regierung. Die Sachlage in unserem Fall sei anders - und ich solle das doch nicht persönlich nehmen.
Der Unterschied ist mir, um halb drei Uhr morgens im Pyjama auf dem Sofa sitzend und auf den grünen Bildschirm starrend, nicht klar geworden. Den Literaturveranstaltungen in Hannover hängt kein Schild um, auf dem sich Politiker kultureller Heldentaten rühmen. Selbstverständlich kann jeder Politiker jede Veranstaltung besuchen. Politikerreden bei Literaturveranstaltungen sind nicht geplant. Niemand muss einem Politiker die Hand schütteln, dem er sie nicht schütteln will. Bei keiner Weltausstellung davor wurde der österreichischen Literatur eine solche Plattform geboten. Und niemand hatte und hat die Absicht, zu kontrollieren, welche Inhalte auf unseren "Hörinseln" zu hören sein werden. Literatur und das Literaturprogramm in Hannover sprechen für sich. Von Hans Haider in der "Presse" wurde mir vor einigen Jahren vorgeworfen, zum "roten Netzwerk" in Österreich zu gehören. Damals wie heute ist mir weniger die dümmliche Zuordnung in rot und schwarz, als diese Art der Diffamierung unangenehm. Mit Begeisterung wird jeder Hund in diesem Land einem Sternzeichen zugeordnet und jedem Kind sein Horoskop erstellt. Alles und jeder und jede wird gnadenlos schubladisiert. Bist ana vo uns oda bist kana vo uns? Bist du nicht für mich, dann bist du für meine Gegner.
Leichenlaken über der Diskussionslandschaft
Das ist der dumme Leitsatz, der wie ein Leichenlaken über einer Diskussionslandschaft liegt, dem die Habermas'sche Definition des "Diskurses" schlecht ansteht. Es gibt nur ein, um bei der Terminologie von Habermas zu bleiben, "präkommunikatives Einverständnis": Entscheidend ist nicht, was gesagt wird, sondern wer es sagt.
Natürlich, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Zurecht. Darauf soll und muss hingewiesen werden - immer wieder. Jede Niederträchtigkeit, und die Niedertracht ist inzwischen geradezu Markenzeichen mancher Politiker geworden, muss erkannt und benannt werden. In Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, dass sich AutorInnen zu Wort melden. Und darauf zu bestehen, dass Österreich immer mehr war und ist als eine Regierungskoalition oder die Parteien, die die Regierungsmitglieder stellen.
Der Auftrag, eine Möglichkeit für die Präsenz österreichischer Literatur bei der EXPO 2000 in Hannover zu entwickeln und umzusetzen wurde 1998 selbstverständlich nur unter der Voraussetzung angenommen, dass kein Funktionär eine Autorin oder einen Text ablehnen kann. Diese Voraussetzung gilt noch heute. Sie zählt meiner Meinung nach zu den Selbstverständlichkeiten und wäre unter normalen Umständen nicht besonders hervorzuheben.
Beil würde mir nicht mehr die Hand geben
Hätte ich (beispielsweise im Auftrag "der Regierung") gegen Autoren oder Texte interveniert: Georg Pichler, der Herausgeber der Anthologie "LebensKunst:KunstLeben", die anlässlich der Literaturaktivitäten erscheint, hätte mir, wie man hierzulande zu sagen pflegt, etwas gehustet und in Zukunft bei meinem Anblick ausgespuckt. Hermann Beil, Regisseur einer Literaturmatinée im Schauspielhaus Hannover (zum Auftakt des Kulturprogramms), würde mir nicht mehr die Hand geben und selbstredend nicht inszenieren. Und Wend Kässens, Literaturchef des NDR und Kooperationspartner bei einem Literaturfest mit Tabori, Nöstlinger, Haderer u.a. würde mir bestenfalls den Vogel zeigen oder mich für verrückt halten.
Kurz und gut: Ich bin der Überzeugung, dass man für ein liberales Österreich zu kämpfen hat und die schärfste Waffe die der Artikulation und der öffentlichen Stellungnahme und Positionierung ist. Ein freiwilliger Rückzug der kritischen Intelligenz aus allen öffentlichen und öffentlich geförderten Bereichen wäre ein Fehler. Denn wer die Spielwiese verlässt, überlässt seinen Platz anderen.
Ich habe kaum geschlafen. Das gegenüberliegende Dach ist schon sonnenbeschienen. Neulich nachts sagte Heinz-Rudolf Unger beim Verlassen der Straßenbahn zu mir: "Wunderbar. Es ist Frühling". Er hat recht. Es ist Frühling. Ich bereite das Frühstück vor, und freue mich auf den Fußweg ins Büro. Zugleich besteht berechtigte Hoffnung, dass sich nicht die Ansicht durchsetzt, dass abwesend sein mehr bewirkt, als anwesend zu etwas zu sagen und zu tun.
Dr. Fritz Panzer ist geschäftsführender Gesellschafter der Buchmarketing GmbH Wien und Kulturbeauftragter der österreichischen Beteiligung an der EXPO 2000 in Hannover.