Unter der Moderation von STANDARD- Chef vom Dienst Eric Frey (Mitte) diskutierten Wirtschaftshistoriker Felix Butschek, Grünen-Abgeordnete Ulrike Lunacek, Josef Riegler, Präsident des Ökosozialen Forums Österreich, und Franz Neunteufl, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen (v. li.).

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Josef Riegler:

"Ich halte nichts von einer Gegnerschaft zur Globalisierung oder Bekämpfung der WTO, aber wir müssen die Institutionen und Regeln besser machen."

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Franz Neunteufl:

"Es werden bereits Bedingungen an Entwicklungshilfe geknüpft. Deshalb ist etwa Simbabwe jetzt völlig out. Wir sind trotzdem dort."

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Ulrike Lunacek:

"Auch beim Global Marshall Plan ist nichts dabei, was ich nicht unterschreiben kann. Aber warum wird es nicht umgesetzt? Es fehlt politischer Wille."

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Felix Butschek

"Trotz eines Vielfachen an Geldern des einstigen Marshallplans ist das Pro-Kopf-Einkommen in Afrika südlich der Sahara seit 1975 gesunken."

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Neue politische Strategien in der globalen Entwicklungszusammenarbeit und die dafür notwendigen Finanzmittel boten beim STANDARD-Montagsgespräch im Wiener Haus der Musik viel Material für eine spannende Debatte.

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Mehrere schwergewichtige politische Anläufe, zuletzt in Großbritannien und Frankreich, haben in diesem Jahr ein neues Zeitfenster für die internationale Entwicklungshilfe geöffnet. Auf Basis der UNO-Millenniumsziele (siehe Wissen) haben Proponenten der ökosozialen Marktwirtschaft einen Global Marshall Plan entwickelt, der im Rahmen des STANDARD-Montagsgesprächs diskutiert wurde.

Erster Ansatzpunkt sei die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln für die Armutsbekämpfung in aller Welt. Das globale Spekulationskapital, das "nur noch um sich selbst kreist", müsse dazu endlich seinen Beitrag leisten. Eine "faire Besteuerung" globaler Wirtschaftsprozesse, etwa über die Tobinsteuer, sei unausweichlich, zeigte sich Josef Riegler, Präsident des ökosozialen Forums, überzeugt.

Dem nicht genug, müssten zusätzlich neue globale Regeln und sozialökologische Mindeststandards eingeführt werden - verpflichtend für die Politik von Weltbank, Währungsfonds, Welthandelsorganisation - und überwacht von der UNO, so Riegler. Der global verwobene Kapitalismus erzeuge eine Schieflage in der Welt, die langfristig "nicht lebensfähig" sei. Riegler: "Es liegt an der Staatengemeinschaft, den ,Global Marshall Plan' umzusetzen, wenn sie sich selbst ernst nimmt."

Die Grünen-Abgeordnete und Entwicklungspolitikerin Ulrike Lunacek mahnte die politische Umsetzung dieser Vorschläge ein. Auch Rieglers Vorstellung vom Marshallplan für die Dritte Welt könne sie voll unterschreiben - wie viele andere Initiativen der letzten 20 Jahre auch - doch fehle es meist am "politischen Willen". Schade sei in diesem Zusammenhang, dass der Vorschlag, neben dem "normalen" Sicherheitsrat der UNO auch so etwas wie einen Sicherheitsrat für soziale Fragen mit Sanktionsmöglichkeiten zu etablieren, in den Reformvorschlägen von UNO-Generalsekretär Kofi Annan fehle.

Lunacek erinnerte auch daran, dass sich die österreichische Bundesregierung ebenso wie Italien gegen mehr Entwicklungshilfemittel in der EU ausspreche, für die Zeit nach 2006 gebe es noch überhaupt keine Finanzierungszusagen. Gemeinsam mit der SPÖ wollen die Grünen noch vor dem Sommer einen neuen Anlauf zur Umsetzung der Tobinsteuer auf globales Spekulationskapital im Parlament nehmen. Frankreich und Belgien hätten bereits entsprechende Gesetze erlassen.

Trotz neuer Finanzierungsmodelle und aller Anstrengungen, auch den afrikanischen Ländern südlich der Sahara eine Entwicklungschance zu bieten, werde es noch mindestens 50 Jahre dauern, bis dafür eine Basis geschaffen sei. Diese Meinung vertrat auf dem Podium der Wirtschaftshistoriker Felix Butschek.

Für ihn fehlen in vielen Ländern Afrikas schlicht und einfach noch immer die Voraussetzungen für eine Wirtschaftsentwicklung nach dem Muster der Industriestaaten - etwa Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Butschek: "Man spricht von Kleptokratie, die dort herrscht."

Demgegenüber hätten es Länder wie China und Indien de facto ohne Entwicklungshilfe geschafft, auf den wirtschaftlichen Erfolgszug aufzuspringen. Wie lange die Missachtung von Menschenrechten und Demokratie gut gehen könne, stehe allerdings auf einem anderen Blatt.

Franz Neunteufl, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, kritisierte, dass die Entwicklungszusammenarbeit "immer mehr zu einem Geschäft" werde und sich häufig zu sehr auf sich selbst beziehe. Bei aller Berechtigung der Millenniumsziele dürfe nicht vergessen werden, was Not leidende Menschen "heute und morgen" bräuchten, so Neunteufel. Bei der Schwerpunktpolitik, wie sie auch die österreichische Entwicklungshilfe verfolge, kämen diese Bedürfnisse oft zu kurz.

Immer wieder, auch aus dem Publikum, wurde "bei aller Skepsis" über die Erfolgsaussichten der neuen Entwicklungsanläufe auch an Positivbeispiele in Afrika - etwa Mauritius, Botswana - erinnert. Riegler sagte, es bräuchten nur die "schreiendsten Ungerechtigkeiten" angegangen werden, etwa der Umstand, dass bei 65 Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe 950 Milliarden für die Rüstung ausgegeben würden. (Michael Bachner/DER STANDARD, Printausgabe, 27.4.2005)