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Ein belgischer Polizist in Zivil bei der umstrittenen Durch-suchung der Räume des "Stern"-Reporters Hans-Martin Tillack (im Hintergrund) im März 2004. Tillack sieht sich seither als Justizopfer.

Foto: Reuters/Francois Lenoir
Der "Stern"-Reporter Hans-Martin Tillack wird nach einer Hausdurchsuchung der belgischen Polizei und seiner gescheiterten Klage gegen das EU-Betrugsbekämpfungsamt Olaf zum Märtyrer der Pressefreiheit hochstilisiert. Zu Unrecht, sagt der Sprecher der angegriffenen Behörde.

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Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung eine Lizenz zum Lügen ausgestellt", lautet die Richterschelte des deutschen Enthüllungsjournalisten Hans-Martin Tillack.

Wer genau lügen darf, sagt er nicht. Doch er sieht sich als Opfer einer "groß angelegten Intrige": Vergangene Woche war der Stern-Reporter mit einer weiteren seiner Klagen gegen eine Untersuchung des EU-Amts für Betrugsbekämpfung (Olaf) gescheitert, die direkt Auswirkungen auf ihn gehabt hatte: Die belgische Justiz hatte im März 2004 die Durchsuchung von Tillacks Brüsseler Räumlichkeiten beschlossen, nachdem sie von Olaf über Bestechungsvorwürfe informiert worden war.

Sieben Gerichte in drei Staaten und bis zu drei Instanzen haben sich seitdem mit Tillacks Vorwürfen befasst, dabei zum Teil intensiv die Bedeutung der Pressefreiheit diskutiert und im Ergebnis Olaf bescheinigt, rechtmäßig verfahren zu sein. Ein Prozess bei Europäischen Gerichtshof läuft noch, der Reporter aber verbreitet, ihm werde effektiver Rechtsschutz gegen Olaf vorenthalten.

Lauter "Lizenzen zum Lügen", ausgestellt von den obersten Richtern der EU, Belgiens und des deutschen Bundeslandes Hamburg? Seine "Lizenz für Mythen" haben sie Tillack jedenfalls nicht entzogen. Er strickt eifrig an seiner Legende, was ihm zuletzt sogar den Medienpreis einer sächsischen Stadtsparkasse einbrachte.

Märtyrer-Mythos

Angesichts des Tillack-Mythos verlieren übliche Journalismusregeln an Bedeutung: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befragt nur noch Tillack, nicht aber Olaf, bevor sie mehrspaltige Artikel über sei nen Fall abdruckt. Der Mythos rechtfertigt auch, die berufliche Existenz eines Tillack-Belastungszeugen, der selbst Journalist ist, systematisch zu zerstören. Journalistenkollegen außerhalb von Brüssel verklären Tillack schon zum Märtyrer der Pressefreiheit. Die Kollegen in Brüssel kennen ihn noch aus seiner Zeit als EU-Korrespondent.

Auslöser für den multinationalen Medienkreuzzug gegen Olaf war eine Durchsuchung der belgischen Behörden bei Tillack. Olaf hatte die Justiz pflichtgemäß über einen Verdacht der Beamtenbestechung informiert, der sich gegen den Stern-Aufdecker verdichtet hatte.

Den Täter suchten die EU-Korruptionsbekämpfer dabei in den Reihen der eigenen Be amten: Ein vertrauliches Dokument, in dem die Ermittler ihre Strategie für eine Reihe von neu gemeldeten EU-Korruptionsfällen festgehalten hatten, war in die Hände Tillacks gelangt. Sicher zur Freude der Verdächtigen, die nun gewarnt waren. Weniger zur Freude von künftigen Zeugen, die Olaf wohl eher ungern Informationen über EU-Missstände anvertrauen, wenn sie fürchten müssen, dass ihre Namen gleich an die Presse weitergeleitet würden.

Quellenschutz

Der zuständige belgische Ermittlungsrichter jedenfalls ordnete eine Durchsuchung an. Für Tillack ein klarer Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die Pressefreiheit, den dort garantierten Quellenschutz.

Der war bis Anfang diesen Monats in Belgien tatsächlich eher spärlich. Dann trat ein neues, EU-weit vorbildliches Gesetz in Kraft. Seit Jahren hatten Belgiens Journalisten darauf gedrängt, wussten sie und ihre ausländischen Kolle gen in Brüssel doch, dass ihre Unterlagen nicht vor Behördenzugriff sicher waren.

Angesichts dieses allgemein bekannten Risikos war es, zumal für investigative Journalisten, noch selbst verständlicher als in anderen Ländern, eigene Vorkehrungen zu treffen, damit bei einer Hausdurchsuchung nicht alle Informanten, die sich einem anvertraut hatten, mit einem Schlag aufflögen. Der Aufdeckungsreporter Tillack jedoch gestand sogleich nach der Durchsuchung bei ihm ein, dass die Behörden nun alle seine Quellen identifizieren könnten. So haben seine Informanten sich Quellenschutz und Enthüllungsjournalismus wohl nicht vorgestellt.

Heute könnte das alles in Belgien nicht mehr passieren, lautet daher die jüngste Legende. Und in der Tat: Das neue Quellenschutzgesetz ist vorbildlich. Es ändert aber eines nicht: Journalisten genießen keine Immunität. Steht ein Reporter selbst im Verdacht einer Straftat, kann er sich nicht hinter dem Quellenschutz verstecken. Das höchste Gericht in Tillacks deutscher Heimat, das Bundesverfassungsgericht, hat das schon 1976 festgestellt. Es gibt keinen rechtsfreien Raum für Reporter. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.4.2005)