Prag - Das erste Jahr der EU-Mitgliedschaft hat der tschechischen Wirtschaft sichtlich gut getan: Auch dank der gestiegenen Exporte, die vor allem auf den Wegfall der Zollbarrieren zu den EU-15 zurückzuführen sind, beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum 2004 auf vier Prozent. Für 2005 und 2006 rechnen die heimischen Experten mit einem noch stärkeren Wachstum. "Wir sind zum Champion geworden", meinte der mittlerweile zurückgetretene Ministerpräsident Stanislav Gross.

Auch die anderen makroökonomische Daten können sich sehen lassen: Die Inflationsrate bewegt sich zwischen einem und zwei Prozent, die Arbeitslosigkeit ist niedriger als in anderen Reformstaaten Zentral- und Osteuropas (zur Zeit 9,4 Prozent) und im Außenhandel zeichnet sich eine Wende von Defiziten zu einer ausgeglichenen Bilanz ab. 2004 erzielte Tschechien im Außenhandel das niedrigste Defizit in der Geschichte des Landes (seit 1993): Der Importüberschuss war mit 20,6 Mrd. Kronen (684 Mio. Euro) deutlich niedriger als 2003 mit 69,8 Mrd. Kronen. Tschechien hatte im Außenhandel bisher immer Defizite verbucht - in den 90-er Jahren manchmal sogar weit über 100 Mrd. Kronen.

Außenhandels-Überschuss im Februar

"Wir sind auf dem Weg zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz", stellte Industrie- und Handelsminister Milan Urban mit Befriedigung fest. Und die Entwicklung in den ersten Monaten 2005 bestätigt seine Prognose: Im Februar verzeichnete der tschechische Außenhandel sogar einen Überschuss von mehr als 5 Mrd. Kronen, was das beste Monatsergebnis seit Jänner 1994 ist. Besonders gut gedeiht die Maschinenbau- und Autoindustrie - neben dem bereits alteingesessenen PKW-Produzenten Skoda nahm im Februar das Gemeinschaftsunternehmen von Toyota, Peugeot und Citroen, TPCA, im mittelböhmischen Kolin seine Produktion auf, die zu 80 Prozent für den Export bestimmt ist.

Die tschechischen Ausfuhren entwickeln sich trotz der bereits seit Monaten andauernden Aufwertung der tschechischen Kronen gegenüber Euro und Dollar anhaltend gut. Vor wenigen Jahren kostete ein Euro etwa 34 Kronen, nun wurde bereits die psychologische Grenze von 30 Kronen nach unten durchbrochen. "Die Tschechische Republik wird zu einer exportorientierten Wirtschaft", meint die Analystin Marketa Sichtarova von "Next Finance".

Ausländische Investitionen fast verdoppelt

Der Zufluss von Auslandsinvestitionen nach Tschechien hat sich 2004 gegenüber dem Vorjahr beinahe verdoppelt: Laut einem Bericht der tschechischen Zentralbank (CNB) haben ausländische Unternehmen 2004 in Tschechien 114,7 Mrd. Kronen (3,81 Mrd. Euro) investiert, 2003 waren es 59 Mrd. Kronen gewesen. "Diese Ergebnisse haben unser Land an der Spitze der Region gehalten, was den Zufluss von Auslandsinvestitionen pro Kopf angeht", kommentierte der Wirtschaftsfragen zuständige Vizepremier Martin Jahn.

Getrübt werden die guten Wirtschaftsdaten jedoch durch die zunehmende Verschuldung der öffentlichen Kassen. Zwar liegt diese immer noch deutlich unter der Maastricht-relevanten Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), deren Einhaltung eine Voraussetzung für die Einführung des Euro ist - allerdings steigen die Schulden mit einem Tempo, dass die heimischen Wirtschaftsexperten als "gefährlich" bezeichnen. "Die Höhe der Schulden ist nicht kritisch, allerdings müssen wir den Anstieg der Verschuldung verlangsamen", räumte Jahn ein.

Reformen dringend notwendig

2004 wuchs der Schuldenberg des gesamten öffentlichen Sektors (Regierung, Regionen, Gemeinden, Zentralbank, Krankenkassen, Sozialsystem und verschiedene staatliche Fonds) auf eine Billion Kronen (33,2 Mrd. Euro), das entspricht 41 Prozent des BIP. Ende 2005 dürften die Schulden bereits 1,1 Billionen Kronen betragen. Daher müssten das Gesundheits- und vor allem das Pensionssystem dringend reformiert werden, so der Vizepremier, da hier der Großteil der Schulden entstehen würde.

Als Datum für die Euro-Einführung hat die tschechische Regierung das Jahr 2010 im Visier - 2008 sollen alle Konvergenz-Kriterien erfüllt sein. Probleme gibt es jedoch beim Defizit der öffentlichen Budgets, das über der zulässigen Höchstmarke von 3 Prozent des BIP liegt. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die Regierung in Prag in den kommenden Jahren Dutzende Milliarden Kronen einsparen - der Sparwille der Ministerien scheint bisher jedoch eher gering ausgeprägt zu sein. (APA)