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"Speer und er": In den Hauptrollen Tobias Moretti (links) als Adolf Hitler und Sebastian Koch als "Gentleman-Nazi" Albert Speer

Foto: APA/dpa
Auf Äußerlichkeiten wird geachtet: jedes Muttermal originalgetreu nachgezeichnet, der Scheitel richtig gezogen, das Haar ausrasiert, Augenbrauen in penibler Feinarbeit geklebt. Bis zu fünf Stunden täglich haben Maskenbildner an Sebastian Koch und Tobias Moretti gespachtelt, um ihre Darstellung von Speer und Er glaubwürdig zu machen. Für Fernsehverhältnisse ein ungewöhnlich hoher Aufwand. "Ich bin froh, dass es vorbei ist", sagte Koch bei der TV-Präsentation Mitte März in Hamburg.

Als "Fernsehereignis des Jahres" wird der Film gehandelt, begleitet von einer beispiellosen Marketingkampagne: Speer und Er im Internet, dazu zwei Bücher, der Historiker und Speer-Biograf Joachim Fest veröffentlicht zeitgerecht Die unbeantwortbaren Fragen, nach Hamburg wurden Journalisten aus dem Ausland eingeflogen.

Zwölf Millionen Euro hat die ARD ausgegeben, der ORF ist Koproduzent. Nun sollen möglichst viele internationale TV-Stationen den Dreiteiler kaufen: "Nichts Besseres" könne zum 60-jährigen Kriegsende im Ersten Deutschen Fernsehen gezeigt werden, wirbt Programmdirektor Günter Struve im vierfärbigen und 112 Seiten starken Pressebuch. Dass sich Heinrich Breloer als Hitler-Darsteller ausgerechnet "Publikumsliebling" Moretti gewünscht, ihn selbstverständlich auch bekommen hat und damit ein "kleines" (Breloer) Risiko eingegangen ist, wird die Produzenten ebenfalls begeistert haben. Mehr mediale Aufmerksamkeit geht nicht.

Anders als bei vorherigen Projekten wie Wehner - Die unerzählte Geschichte (1993), Todesspiel (1997) und zuletzt Die Manns (2001) sei es diesmal nicht schwer gewesen, die ARD zu überzeugen, erzählt Breloer. Das liege am Thema, zudem: "Die Manns verkauften sich gut." Zum Beispiel eine Nacht lang im Museum of Modern Art in New York, volles Haus. "Hitler sells" - nach wie vor und im "Gedankenjahr" sowieso.

Dann sind auch Synergien möglich: Ein Bühnenbild wurde von Oliver Hirschbiegels Der Untergang übernommen, erzählt Tobias Moretti. Schauspieler freuen sich während des Hitler-Booms über Mehrfachengagements: André Hennicke etwa, der SS-Brigadeführer Wilhelm Mohnke in Der Untergang, spielt in Sophie Scholl Richter Roland Freisler, und in Speer und Er Rudolf Hess.

Man täte dem Filmemacher Heinrich Breloer und seinem Dramaturgen Horst Königstein jedoch Unrecht, unterstellte man ihnen schnöde Lust am Geldverdienen mit der Hitlerei. Beiden ist es gelungen, der Entlastungsfigur Speer neue, bisher unbekannte Aspekte und Erkenntnisse hinzuzufügen. Gekonnt reiht Breloer Spielszenen und Zeitzeugen-Interviews aneinander und nimmt dazwischen Originalschauplätze in Augenschein.

In der von ihnen entwickelten und mehrfach bewährten "offenen Form" des Dokudramas zeichnen sie den Weg von Hitlers Architekten und Rüstungsminister in drei Teilen nach: Germania. Der Wahn handelt vom Aufstieg des jungen Planers und wie er gemeinsam mit Hitler die Monumentalbauten für ein 1000-jähriges Reich entwirft.

Nürnberg. Der Prozess zeigt, wie es Speer gelang, den Mythos des Gentleman-Nazi aufzubauen, und so seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Schließlich Spandau. Die Strafe konzentriert sich auf die zwanzig Jahre im Spandauer Gefängnis. Die Auseinandersetzungen mit den Mithäftlingen und die Vorbereitung auf die Zeit danach. Architekten-Kollegen warteten sehnsüchtig auf Speers Entlassung und zahlten einstweilen auf ein "Schulgeldkonto" ein, über das Speer aus seiner Zelle verfügen konnte.

Die von Historikern wie Joachim Fest lange Zeit gestützte Tatsache, dass sogar einer von Hitlers engsten Vertrauten nichts von den Vernichtungslagern gewusst haben kann, wird in Hinkunft zweifellos so nicht mehr gelten können.

"Fest ist ihm sicher auf den Leim gegangen", glaubt Breloer. In einem Interview mit dem Hitler-Biografen äußerte Speer 1966 etwa "eine vage Ahnung, was in den Konzentrationslagern war". Und fügt in hölzernem Technokraten-Jargon hinzu: "Es wäre sicher möglich gewesen, in meiner Person die Wahrheit zu erfahren. Es gab Andeutungen der verschiedensten Art. Aber man ging nicht weiter. Man kümmerte sich um seinen eigenen Kram." Ein Verführer, dem Breloer beinahe selbst erlag, als er Speer 1981 in London traf: "Er war sehr sympathisch. Ich fühlte mich wie ein Sohn von ihm angenommen. Man konnte ihn gar nicht genug fragen."

Die Historikerin Susanne Willems weist nach, dass Speer im August 1941 die Deportationen von rund 12.000 Juden in Berlin erst in Bewegung setzte, um Platz für die "Welthauptstadt Germania" zu schaffen. "Hat er nun dreist gelogen oder einfach nur verdrängt?", fragt Breloer. Antworten darauf sucht er im wichtigen vierten Teil der Reihe: "Wir sind noch nicht am Ende der Forschung."

Beeindruckender als die fiktiven Szenen sind freilich die Interviews, die Breloer mit drei von sechs Kindern Albert Speers führte und in die Handlung verwob. Wie unterschiedlich sie alle ihre Herkunft verarbeiteten, wie Breloer sie mit ihrer Geschichte konfrontiert und wie viele Wunden darin noch offen klaffen, ist der nachhaltige Gewinn des Films. Jedes der drei Kinder geht mit dem Schrecken anders um und steht für das individuelle Spiegelbild des bis heute verdrängenden Kollektivs.

Arnold, der seine Erinnerungen bis 1945 "ausgeblendet" hat. Albert, der am offensten erzählt, aber jahrelang mit Sprachstörungen zu kämpfen hatte. Hilde, die immer noch nicht glauben will, dass der geliebte Vater nicht nur Hauptkriegsverbrecher, sondern auch ein Blender war. Ein eiskalter Lügner, der auch sie getäuscht hatte.

Breloer versucht, das Nichtverstehbare begreiflich zu machen, indem er dem Monster menschliche Züge verleiht. Morettis Hitler hat weder Ähnlichkeit mit Bruno Ganz' griesgrämiger, heiserer Bestie noch mit den historischen Bildern einer kreischenden Karikatur. Dieser Führer bleibt charmant und feurigen Blickes. Kein rollendes R, vielmehr ein kauziger Spinner mit Bubenträumen, später ein Parkinson-geschütteltes, seltsam-zittriges Männchen. Aber reicht das aus, die Verführung verstehbar zu machen?

"Das Phänomen Hitler kann man nur als Zeitgenosse verstehen", meint Tobias Moretti, "deshalb fände ich es nicht nur unpolitisch, sondern völlig falsch, würde man eine Figur wie Adolf Hitler dämonisieren."

Die eigentümliche Männerfreundschaft, die doch keine war: zwei Buben, die in ihrem Spielzimmer die tollsten Streiche aushecken. Vielleicht ist aber alles unverschämt einfacher und so, wie Sebastian Koch sagt: "Da war ein Verführer, und da waren Menschen, die sich verführen lassen wollten." (Doris Priesching/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 4./1. 5. 2005)