Adolf Hitler lebt und arbeitet heute als Sozialarbeiter für Vietnamveteranen auf Long Island, USA. Mit dieser faden Pointe endet das Kapitel über William Patrick Hitler in Wolfgang Zdrals neuem Buch. William Patrick? Hitler? In Amerika? Welch merkwürdige Konfusion. Dabei ist man schon mitten im Thema - bei den Hitlers, der unbekannten Familie des so genannten Führers.

Zdral, Redakteur des Kölner Wirtschaftsmagazins Capital, hat 2002 eine Studie über den finanzierten Aufstieg Hitlers vorgelegt. Nun folgt eine Familienhistorie. In der Einleitung skizziert er sein Vorhaben. Hitlers Verwandte würden, so seine Hypothese, die "bisherige Wahrnehmung und Einordnung des privaten Hitler" ergänzen. "Die Familie der Hitlers, die Geschwister und Verwandten und deren Lebenswege sind bis zur Gegenwart ein nahezu unbeschriebenes Blatt."

Adolf Hitlers Wurzeln sind des Öfteren und ausführlich dargestellt worden. Schon Schriftsteller der Weimarer Republik stichelten, Hitler heiße eigentlich Schicklgruber. Zu Recht. Denn sein Vater Alois, ein außerehelich geborener sozialer Aufsteiger der franco-josephinischen Zeit, der sich zum Zollbeamten hocharbeitete, änderte mit 39 Jahren seinen Namen von Schicklgruber in Hitler. Er wollte sich damit wohl von der bäuerlichen Familie seiner Mutter absetzen, zum anderen einen neuen Zweig des Stammbaums, der ins Waldviertel zurückreicht, begründen, allerdings unter Variation des Namens der anderen Familienlinie. Denn sein Stiefvater hieß Georg Hiedler, dessen Bruder und Alois' Ziehvater, der wohl auch sein leiblicher Erzeuger war, Nepomuk Hüttler.

Hitlers Biografen haben dessen Leugnung einer engeren emotionalen Familienverbundenheit und seine Selbststilisierung betont. So schrieb etwa Joachim Fest: "Kaum eine Erscheinung der Geschichte hat sich so gewaltsam, mit so pedantisch anmutender Konsequenz stilisiert und im Persönlichen unauffindbar gemacht." Dies reichte bis zur göttlichen Verklärung. "Vorschlag sechs, zur Vorlage an den Führer angenommen", hieß es in einem Geheimprotokoll vom August 1943: "Sofortige und bedingungslose Abschaffung sämtlicher Religionsbekenntnisse nach dem Endsieg . . . mit gleichzeitiger Proklamierung Adolf Hitlers zum neuen Messias. (. . .) Der Führer ist dabei als ein Mittelding zwischen Erlöser und Befreier hinzustellen - jedenfalls als Gottgesandter, dem göttliche Ehren zustehen. (. . .) Als Vorbild des Gottgesandten möge die Figur des Gralsritters Lohengrin dienen (. . .) Durch entsprechende Propaganda müßte die Herkunft des Führers noch mehr als bisher verschleiert werden, so wie auch sein künftiger Abgang einmal spurlos und in vollständiges Dunkel zu erfolgen hätte." Dazu Hitler: "Der erste brauchbare Entwurf! Zur Bearbeitung an Dr. Goebbels."

Noch Anfang 1945 entwarf Hitler ein Grabmal seiner Eltern in Linz, pompöser als das Taj Mahal, höher als der Wiener Stephansdom und mit einem Glockenspiel versehen, das zu bestimmten Zeiten eine Melodie aus Bruckners Romantischer Symphonie spielen sollte. Tatsächlich besuchte er die elterlichen Gräber nur einmal. Ansonsten kümmerte er sich so wenig darum wie sein Stiefbruder Alois jr., ein Bigamist und Gastwirt in Hamburg und Berlin, seine ältere Stiefschwester Angela oder seine Schwester Paula. Diese werden ebenso porträtiert wie seine Eltern Alois und Klara, die Nichte Geli Raubal, die 1931 Selbstmord beging, Eva Braun oder Alois juniors Sohn aus erster Ehe, William Patrick. Dieser, ein Dandy und Frauenheld, suchte in den 1930ern erst in Berlin die Protektion seines Onkels, wandte sich dann, enttäuscht, gegen die Nazis, hielt Vorträge, wurde amerikanischer Soldat und CIA-Mitarbeiter und änderte nach dem Krieg seinen Namen in "Hiller". Seinen ältesten Sohn, heute Sozialarbeiter, ließ er aber "Alexander Adolf" taufen.

Zdrals Mischung aus hinlänglich Bekanntem wie recherchiertem Neuem, der irisch- amerikanischen Verwandtschaft etwa, kann das Bild des "Privatmannes AH" aber weder ergänzen noch neu beleuchten. Man hat Mitleid mit der entfernten Waldviertler Verwandtschaft, die nach Kriegsende von der Roten Armee inhaftiert wurde und elend ums Leben kam. Dabei hatten sie Adolf Hitler das letzte Mal 1907 gesehen und danach keinerlei Kontakt mehr zu ihm gehabt. Man hat kaum größeres Mitleid mit der engeren Verwandtschaft. Deren Lebensgeschichten liest man und wundert sich, wer es heutzutage zu biografischen Ehren bringen kann, mögen die Lebensläufe auch unterhalb jeder Aufmerksamkeitsschwelle liegen.

Eingängig und flott ist Zdrals Darstellung, an manchen Stellen allerdings zu flott und problemfern. Gelegentlich ist sein Stil zu magazinlastig geraten. In seiner Schlüssellochperspektive weist dieses Buch jenseits des Anekdotischen, auch wenn es so erheiternd ist wie das Fazit eines Gestapo-Berichts über Hitlers Vorfahren und Verwandte aus dem Jahr 1944: "Die Linie Schicklgruber weist abnormale Menschen auf, was die idiotische Nachkommenschaft bezeugt", keinen neuen Zugang zu Hitlers Psyche. Es gibt Lücken in der Historiografie, die zu Recht bestehen. (Alexander Kluy/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 4./1. 5. 2005)