Das Ungewöhnliche an der jüngsten ägyptischen Attentatsgeschichte ist, dass plötzlich die Täter - die Täterinnen - wenn schon kein Gesicht, so doch ein Schicksal bekommen, zumindest für die letzten Minuten ihres Lebens. Die Schwester und die Frau eines jungen Mannes, der sich zuvor auf der Flucht vor der Polizei in die Luft gesprengt hat, greifen Touristen an, bevor eine der Frauen die andere und dann sich selbst erschießt.

Nicht dass dieses Wissen die Geschehnisse begreiflicher machen würde. Wo sie im ägyptischen Gesamtkontext stehen, ist noch schwer zu deuten. Es sieht durchaus so aus, als ob die Version der ägyptischen Regierung stimmen würde, dass die Attentate der jüngsten Zeit nicht heißen, dass sich die großen radikalislamistischen Organisationen wieder regruppieren. Der Mann, dessen Tod das Kommando für die Frauen war, gehörte offenbar zu einer kleinen lokalen Gruppe, die hinter dem Attentat Anfang April stand.

Wilde radikale Zellen im Untergrund wie diese sind zweifellos quantitativ viel ^weniger gefährlich als die schrecklichen alten Organisationen Islamischer Djihad und al-Gamaa al-Islamiya. Aber sie sind auch weniger leicht zu greifen. Die Verhaftungswelle nach den Attentaten spricht entweder von Verzweiflung oder bedeutet, dass die ägyptischen Behörden das radikale Potenzial selbst für wieder ziemlich groß halten. Die Beteuerungen, dass diese Leute nicht mit Al-Kaida assoziiert sind, gehen an der Tatsache vorbei, dass Al-Kaida nie ein vertikal durchorganisiertes, sondern immer ein horizontales, an seinen Rändern amorphes Gebilde war.

Ägypten allgemein nun für in die Destabilität abrutschend zu erklären wäre allerdings verfrüht. Zynischerweise muss man sagen, dass es zu erwarten war, dass die Druckwellen der großen Umbrüche in der Region auch das Land am Nil erreichen, in dem die große Mehrheit der Bevölkerung zwar jedem Extremismus abhold, das aber doch der Geburtsort des politischen Islam, der sich später radikalisierte, ist. Dazu kommt, dass sich Ägypten selbst im Wandel befindet: Die Ära Mubarak geht zu Ende, der Druck von unten - und der USA - auf das Regime wird größer, aber da die Partizipationsmöglichkeiten immer noch beschränkt sind, sucht er sich teilweise weiter radikale Ventile.

Ägypten läge nicht in der arabischen Welt, wenn nicht sofort Verschwörungstheorien im Umlauf wären (typische Produkte der - von den undemokratischen Regimen erzeugten - politischen Unreife; nicht dass die Menschen dort "dümmer" wären als anderswo). Prompt hieß es, regierungsnahe Kräfte steckten selbst hinter den neuen radikalen Gruppen, um dem Staat eine Ausrede dafür zu liefern, dass nicht, wie von demokratischen "grass roots" gefordert, der Ausnahmezustand aufgehoben und politische Reformen eingeleitet werden. Man muss sich aber nur einmal die Kosten-Nutzen-Rechnung des Ganzen vor Augen halten: Mühsamst hat die ägyptische Regierung in den vergangenen Jahren den nach den Terrorismusjahren am Boden liegenden Tourismus rehabilitiert.

Die Lust auf Experimente mit unkontrollierbaren Kräften ist in der Region minimal. Keiner weiß, wohin der Karren wirklich läuft. Die Ansagen der großen US-Visionäre vor dem Irak-Krieg, "Irak ist das taktische Ziel, Saudi-Arabien das strategische Ziel - und Ägypten ist der Preis", klingen ja noch in den Ohren.

Irak kommentiert sich täglich selbst, für Saudi-Arabien sind die mittelfristigen Prognosen, was die Stabilität anbelangt, schlecht. Saudi-Arabien bildet gemeinsam mit Ägypten und Syrien auch das Dreigespann, das nach dem Abgang Iraks von der Regionalbühne 1991 im Wesentlichen die Politik der Arabischen Liga bestimmt hat. Saudi-Arabien siehe oben, Syrien wird soeben auf die politische Größe zurechtgestutzt, die die USA für angemessen halten, intern wird man sehen. Übrig bleibt Ägypten. Noch. Man möchte eine Maus im Weißen Haus sein, um zu hören, wie dort die Lage kommentiert wird. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 03.05.2005)