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Der Meister selbst

Foto: Reuters/STRINGER/RUSSIA

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Kreation von Jean-Paul Gaultier

Foto: APA/EPA/Barthelemy
Mit Jean-Paul Gaultier als Modechef hat man nun einen Kapitän an Bord, der sich mit dem frischen Wind auskennt.

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Es gibt Glamour, es gibt Trash-Glamour, es gibt Trash, es gibt "New Trainingsanzug", es gibt Pseudo-Hippie, Mix and Match, es gibt Manga-Girlie, HipHop-Biene, und es gibt keinen Stil, den man nicht bei H & M in fünf Minuten für neunundzwanzigneunzig kaufen könnte. Aber es gibt auch Hermès. Und dort gibt's das alles nicht. Dafür gibt es zum Beispiel: Kelly- und Birkinbags (benannt nach den jeweiligen Schauspielerinnen), auf deren Lieferung man mitunter ein Jahr warten muss und die - je nach Ausführung - schon mal einen fünfstelligen Preis haben können.

Jeder ist sein eigener Modezar

Nach den aktuellen Moderegeln, wie sie vom Massendiskonter bis zum Modezar gerne kundgetan werden ("Der Street-Style bestimmt, was Mode ist", "Mode muss/darf nicht viel kosten", "Jeder ist sein eigener Modezar" etc.), dürfte es Hermès schon lange nicht mehr geben. Was die Analysten und Herolde der Branche dabei übersehen haben, ist ein neues Bedürfnis nach Eleganz, nach Schönheit, die sich deutlich vom nicht mehr differenzierbaren Modebrei abhebt.

Von solchen Mode-Credos lässt sich Jean-Louis Dumas-Hermès, der 67-jährige Chef des französischen Traditions- und Familienunternehmens, nicht irritieren. Aber er verweigert sich auch nicht der Notwendigkeit, eine stetige innovative Brise zu integrieren. Ein Unternehmen mit großer Tradition kann auf den Fundamenten Qualität und erstklassiges Handwerk ruhen. Aber nicht ausruhen. Klassik und Eleganz sind schön und gut, aber der Adrenalinspiegel einer Modemarke muss stimmen.

Für diesen wäre per Herbst-/Winter-Kollektion 2004 Jean-Paul Gaultier zuständig, wie man bei Hermès 2003 verlautete. Gaultier hatte mit seinem eigenen Couture-Atelier bewiesen, dass Frechheit und Eleganz einander nicht ausschließen.

Also knöpfte sich Gaultier die Hermès-Klassiker vor, schickte gleich mal eine Reiterkollektion mit Jodhpur-Hosen und allerfeinsten Reitstiefeln auf den Laufsteg (immerhin fing Hermès 1837 als Sattlerei an) und bekam dafür vom Fleck lauter Einser von Presse und Publikum.

Für die aktuelle Sommerkollektion wickelte er die berühmten Foulards zu Sommerkleidern. Filmstar-Outfits sind wohl eine weitere Hommage an die Geschichte des Hauses. Nicht nur der Kelly-Bag schmückte die schöne Grace, sondern auch hauchzarte Blusen mit Kragenschleifen.

Ein Trenchcoat, der Ava Gardner wohl gut zu Gesicht gestanden hätte, ein Hosenanzug wie für Marlene gemacht. Die Kollektion ist nobel, aber nicht so zurückhaltend, wie die des Gaultier-Vorgängers, des Belgiers Martin Margiela. Etwa ließ Gaultier die Schnürbänder mit Kutsche und Schriftzug, die eigentlich Verpackungszwecken dienen, auf Blusen, Jacken und Kleider printen.

Weiters rückte er die Hermès-Farbe Orange für die Sommerkollektion in den Vordergrund der Kollektion, ohne dabei marktschreierisch zu wirken.

Mit der kommenden Herbst/Winterkollektion erweitert Gaultier das Hermès-Modekonzept. Abendkleider waren bisher nichts, was man von Hermès unbedingt erwartet. Ab kommendem Herbst wird sich das ändern. Die Anastasias dieser Welt werden sich um die dekolletierten Samtkleider aus der luxuriösen Russland-Kollektion, reißen.

Gaultier und Hermès

... verbindet seit Längerem eine geschäftliche Beziehung. 1999 übernahm Jean-Louis Dumas-Hermès 35 Prozent am Haus Gaultier.

Dumas-Hermés investierte natürlich auch im eigenen Haus, etwa in die Ausweitung des Vertriebsnetzes. Während sich viele Modemarken unter das Dach eines Konzerns begaben, konzentrierte sich Dumas-Hermès auf interessante strategische Beteiligungen. Und während alle Modelabels, die meinen, ein Parfum haben zu müssen, einen der großen internationalen Parfum-Entwickler wie etwa Quest in Holland oder International Flavors and Fragrances in New York beauftragen, engagierte Dumas-Hermés einen eigenen Parfumeur, Jean-Claude Ellena.

Hermès ist damit neben Chanel (mit Jacques Polge) das einzige Unternehmen, das sich einen exklusiven Parfumeur leistet und mit dieser Strategie seit Jahren einen Spitzenplatz in der Duftwelt behauptet.

Jean-Claude Ellena

Die Herausforderung an Jean-Claude Ellena, auf dessen Konto Klassiker wie "First" von Van Cleef & Arpels gehen, lautete: Un jardin sur le Nil. Den "Garten am Nil" verkündete Dumas-Hermès als kreativen Leitgedanken für das Jahr 2005. Den ägyptischen Garten mit seinen Zitrus- und Mangobäumen, Gräsern und Gemüsen in Duft zu übersetzen war nun Ellenas Aufgabe.

Das Duftwasser im grünen Flakon geriet klassisch, dennoch leicht, blumig und fruchtig mit einer schweren Note. Diese verdankt Un jardin sur le Nil dem Duft einer Wasserpfeife, in der mit Apfel aromatisierter Tabak glost.

Der Hermès-Mode gleich, steht der Duft in der Tradition des Unternehmens, ohne auf das Adrenalin der Gegenwart zu verzichten. Ob der Nilgarten in der Flaschenversion der Kelly-Bag unter den Düften wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass er sich im Einerlei der synthetischen Wässerchen nicht verflüchtigen wird. (B.St./Der Standard/rondo/06/05/2005)