Die Verteidigung, die hinter der Verzögerung die Absicht eines Abfalls des öffentlichen Interesses am Prozess wittert, hält bei diesem Tempo ein Urteil frühestens zum Ende der Woche für möglich. Der prinzipielle Teil der Urteilsbegründung ist mittlerweile verlesen, der Beweisteil wurde erst angeschnitten. Trotzdem wird die Tendenz hin zu einem Schuldspruch immer mehr bestätigt.
Verteidigung will Urteil keinesfalls anerkennen
Schon am Montag hatte die Verteidigung als verdächtig vermerkt, dass sich das Gericht bis in grammatische Details an die Anklageschrift hält. Deshalb will man laut Chodorkowskis Anwalt Juri Schmidt das Urteil, wie auch immer es aussieht, in keinem Fall anerkennen.
Vier Anklagepunkte waren es am Montag gewesen, für die die Ankläger nach dem Urteil von Richterin Irina Kolesnikowa schlüssige Beweise vorgelegt hatte, darunter betrügerische Besitzunterschlagung, Nichterfüllung eines Gerichtsbeschlusses, und Staatsschädigung durch Betrug.
Am Dienstag kamen weitere hinzu. Die Richterin sieht auch als erwiesen an, dass Chodorkowski Steuern hinterzogen und fremdes Eigentum veruntreut hat – konkret habe er 2,6 Mrd. Rubel (über 70 Mio. Euro) aus dem Konzern entwendet und dem – mittlerweile exilierten – Oligarchen Wladimir Gussinski zukommen lassen.
"Teil einer kriminellen Gruppe"
Chodorkowskis Schuld sei in allen Anklagepunkten durch die Beweislage und die Aussagen von Zeugen bestätigt worden, zitiert die Nachrichtenagentur Interfax die Richterin. Chodorkowski und sein Mitangeklagter Partner Platon Lebedew seien Teil einer kriminellen Gruppe.
Beobachter sehen sich daher in der Vermutung bestärkt, dass der Prozess mit einer Verurteilung endet. Seit Wochenbeginn bleibe nur die Frage des Strafausmaßes. Die Anklage fordert zehn Jahre Lagerhaft für die Hauptangeklagten, für den Dritten, Andrej Krajnow, 5,5 Jahre.