Ein typischer Film-Mann der 80er-Jahre war Silvester Stallone, heute locken eher "softere" Typen wie Johnny Depp die Menschen ins Kino.

Was als "richtiger Mann" zu gelten hat, konnte man noch bis weit in die 1980er-Jahre in hilfreicher Eindeutigkeit aus Hollywoodfilmen erfahren: "Dieser so genannte hegemoniale Mann - im Sinn der klassischen analytischen Theorie - ist weiß, heterosexuell, aktiv, unabhängig und gehört der Mittelschicht an", erklärt der Amerikanist Klaus Rieser von der Grazer Karl-Franzens-Universität (siehe Geistesblitz). Für seine demnächst im Verlag Die Blaue Eule erscheinende Habilitation hat der Wissenschafter unzählige Filme aus dem US-amerikanischen Mainstreamkino der vergangenen 35 Jahre auf ihre Männerbilder hin durchforstet und dabei sehr spannende Beobachtungen gemacht: "Wenn man sich streng an dieses Inbild hegemonialer Männlichkeit hält, entsprechen ihm eigentlich nur wenige Männer", stellt Rieser fest. "Deshalb erlaubt es auch gewisse Erweiterungen: etwa um den harten, kampferprobten Helden aus der Arbeiterklasse, der zwar gesellschaftlich nicht so potent ist, seine Macht aber zumindest gegenüber Frauen ausspielt und so wieder in die Gleichsetzung von Männlichkeit und Macht hineinpasst."

Dieses Bild von wahrer Männlichkeit wird seit den 1990er-Jahren allerdings auch im Hollywoodfilm immer durchlässiger und variantenreicher: So ist etwa Johnny Depp in Jim Jarmuschs Westernpersiflage Dead Man aus dem Jahr 1995 nicht nur ein auffallend passiver Held, sondern wird durch die Kameraführung auch zum Sexualobjekt. Zwar habe es diesen erotischen Blick auf den Mann auch schon in früheren Filmen gegeben, die Helden wurden dabei aber meist in ihrer harten Männlichkeit gezeigt - mit muskelgepanzertem, nacktem Oberkörper wie etwa Sylvester Stallone als Rambo. Der (halb)nackte Männerkörper stand zudem meist in einem Gewaltzusammenhang - der Blick der Kamera richtete sich sehr oft auf einen kämpfenden oder gequälten Körper.

"Bei Dead Man ist das anders", sagt Rieser. "Hier kommt zum erotischen Blick auch noch die Passivität des Helden." Damit entsteht ein Bild von Männlichkeit, dessen Ästhetik zum Teil von jener der Homosexuellenszene beeinflusst wurde und das mittlerweile im Bereich der Werbung durchaus gängig ist. Dass die Filmhelden seit den 90er-Jahren im Vergleich etwa zu einem Schwarzenegger oder Stallone rein körperlich "weicher" und knabenhafter werden, habe laut Rieser "sicher auch mit PR-Strategien zu tun". Das Zielpublikum von Titanic beispielsweise sind vor allem weibliche Teenager - denen "fällt die Identifikation natürlich leichter, wenn der Held in etwa der gleichen Generation angehört. Und das funktioniert mit einem Leonardo DiCaprio vermutlich besser als mit einem klassisch männlichen Typ."

Jackie Chan, der weichere Held

Eine weichere Form von Männlichkeit verkörpert etwa auch Jackie Chan als einer der Helden im Film Rush Hour, einer Actionkomödie aus dem Jahr 1998. Während Asiaten in älteren Filmen oft als eher feminine Männer dargestellt werden, spielt Jackie Chan hier trotz seines weniger "harten" Aussehens und einer gewissen (durchaus traditionell asiatischen) Höflichkeit selbst in den Kampfszenen einen sehr männlichen Helden. Eines von vielen Beispielen für ein geändertes Männlichkeitsbild. Dennoch: Von einem klaren Richtungswechsel zu sprechen ist Klaus Rieser dann doch zu vereinfachend: "Zwar gibt es fluidere Bilder im Mainstream, parallel dazu existieren aber immer noch die alten Strukturen."

Ausgehend von seiner intensiven Auseinandersetzung mit der feministischen Theorie hat Rieser die Filme auch auf die jeweils angewandten Konzepte von Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit hin analysiert. Während das klassische Konzept - das die Filme der 50er- und 60er-Jahre noch weit gehend ungebrochen spiegeln - Männlichkeit und Weiblichkeit als scharf getrennte Bereiche darstellt, werden diese Kategorien mittlerweile immer mehr als sich überschneidende Variablen verstanden. "Das heißt im Filmkontext", erklärt Rieser, "dass es Figuren gibt, die gleichzeitig sehr weiblich und sehr männlich sein können - man denke etwa an Frank'N'Furter, den Transsexuellen in der Rocky Horror Picture Show oder an Brandon Teena in Boys Don't Cry. Diese Gleichzeitigkeit gibt es auch bei DiCaprio in Titanic, der zwar als aktiver Held auftritt, parallel dazu aber auch zum Blickobjekt gemacht wird."

Was allerdings nicht passiert, ist eine Entkoppelung von Männlichkeit und Macht. "Johnny Depp in Dead Man ist trotz seiner Passivität und Unentschlossenheit noch immer ein Westernheld und wird nicht als weiblich empfunden", ist Rieser überzeugt. "Hier wird sehr darauf geachtet, dass sich die Verschiebung des Männlichen auf die Passivität beschränkt und nicht als Homosexualität erscheint - der Held ist nach wie vor der good white guy. Wenn er schwarz oder schwul wäre, sähe die Sache anders, weniger systemerhaltend aus."

Was sind nun die Ursachen, die den Wandel der "hegemonialen Männlichkeit" bewirken? "Diese Verschiebung erfolgt natürlich nicht im luftleeren Raum", erklärt Rieser, "sondern korreliert mit gesellschaftlichen Veränderungen: der Bewusstseinsschärfung durch den Feminismus, den Emanzipationsbemühungen der Homosexuellen, dem Fortschreiten der Dienstleistungsgesellschaft, in der traditionelle Männerberufe immer weniger gefragt sind." Ist es vor diesem Hintergrund also angebracht, von einer "Krise der Männlichkeit" zu sprechen? "Wenn man damit die hegemoniale Männlichkeit meint, durchaus", konstatiert Rieser. "Diese wird sogar in mehrfacher Hinsicht destabilisiert. Etwa durch die ökonomische Umgestaltung, durch die nun Fähigkeiten gefragt sind, die von jenen der klassischen Männlichkeit abweichen: etwa Networking, Teamarbeit und Ähnliches." Auf der kulturellen Ebene werde sie von feministischen Angriffen und Hinterfragungen aus den Angeln gehoben, und zu all dem geselle sich noch das Problem der Ethnizität und Homosexualität. Keine so einfache Ausgangslage für das gar nicht mehr so starke Geschlecht: "Diese Veränderungen sind natürlich eine Irritation für die Männer, gleichzeitig aber auch sehr bereichernd", ist der Forscher überzeugt. "Ich sehe darin die Chance, mehr Variationen des Männlichen zur Verfügung zu haben, und das kann sehr befreiend sein." Wenn vielleicht auch nicht für jedermann. (Doris Griesser/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.05.2005)