Jonathan Nossiter (Foto Mitte, mit Handkamera) hat einen wunderbaren, verwackelten Film über die Welt des Weines gemacht

Foto: Concorde-Filmverleih
Battista und Lina Columbu, die im sardischen Bosa ihre paar Reben liebevoll und traditionell bewirten, werden nie den Mercedes-chauffierten "flying winemaker" Michel Rolland aus Bordeaux treffen. Die Weinbau-Aristokraten der Antinoris und Frescobaldis leben auf einem anderen Planeten als die Boutique-Winzerfamilie Harlan, die sich ihre Klein-Toskana in Kalifornien nachbaut. Und normalerweise haben Verkostungsnotizen oder Porträts von Weinschriftstellern wie dem Christie's-Auktionator Michael Broadbent nichts mit den Wirtschaftsnachrichten über Verflechtungen von Getränke-Giganten zu tun.

In "Mondovino" aber kommen sie alle zusammen. Dem Regisseur Jonathan Nossiter ist etwas Erstaunliches gelungen. Er hat, als "Abenteurer und Entdecker in eigener Sache", einen mehr als zwei Stunden langen Dokumentarfilm gedreht, der keinen Moment Langeweile aufkommen lässt. Die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Vertreter der Szene bekommen Gelegenheit, ihre Standpunkte zu vertreten, eingefangen von einer wackeligen, zoomenden Handkamera, die dem Ganzen eine unbekümmerte Cinéma-Vérité-Aura verleiht, und durch keinerlei Kommentare unterbrochen.

Der Schnitt ist raffiniert einfach: Kaum hat sich der Zuschauer mit der Weltsicht des abgeklärten, poetischen Eigenbrötlers Aimé Guibert aus dem Languedoc identifiziert, verführt ihn ein Sprössling der kalifornischen Mondavi-Dynastie zur gegenteiligen Ansicht, dass nämlich die Modernisierer nur das Beste für alle wollen. Global agierende Konsulenten bekommen ebenso ihre Bühne wie deren wortgewandte Gegner.

Manche Auftritte wirken entlarvender als andere, etwa wenn die US-Millionärs-Hobbywinzer von ihrem lockeren Umgang mit den mexikanischen Traubenlesern plaudern oder wenn italienische höhere Töchter sich nach Mussolini sehnen. Doch die Meinungen dazu entstehen erst im Kopf des Betrachters.

Nicht dass die Doku keine Dramaturgie hätte. Nossiter und seinem Freund, dem Filmemacher Juan Pittaluga, ging es zunächst darum, die Weinproduktion anhand von Beispielen aus Europa, den USA und am Rande auch Lateinamerika kennen zu lernen. Bald erfuhren sie mehr über die Veränderungen von den Winzern hin zu den Konzernen, aber auch von den Gegenbewegungen. Besonders aufregend fand er, "dass mit nahezu jeder Begegnung meine eigenen Vorurteile auf den Kopf gestellt worden sind" und dass politische Posen nicht immer mit der önologischen Praxis zu tun haben.

Die Kontrahenten ersparen einander nichts. Werden die einen wegen des Festhaltens an Boden, Klima und Rebe "Terroiristen" geschimpft, müssen sich andere den Vorwurf des "Faschismus der Monopoldistribution" gefallen lassen. Dennoch herrscht eine freundliche Grundhaltung vor, wie man sie mit Weinkulturen in Verbindung bringt. Es sei offenbar schwierig, so befand das multinationale Filmteam, "der natürlichen Verführung zu widerstehen, die aus der Flasche kommt". (Die Mondavis, die kurz nach dem Filmdreh die Kontrolle über ihr multinationales Öno-Imperium verloren haben, mögen eine zeitweise Ausnahme darstellen. Oder vielleicht erst recht zur Flasche greifen.)

Inoffizieller Mittelpunkt, auf den der Film mehrmals zurückkommt, ist die Familie des Hubert de Montille aus dem burgundischen Volnay. Wie der seine Ansichten zur Tiefe statt Breite eines Weins vertritt, die Karrieren seiner Kinder kommentiert und sich dabei selbst relativiert, das hat Klasse und das würde auch ein brillanter Schauspieler nicht besser hinkriegen.

Neal Rosenthal, der Exzentriker unter den US-Importeuren (siehe Interview), spielt ebenfalls eine besondere Rolle im Film, dürfte sein Zugang zum Wein doch dem des Regisseurs seelenverwandt sein. Mit Neugierde und einem ersten Schlüsselerlebnis hat es begonnen. Inzwischen ist er einer der heftigsten Traditionalisten der Szene und schimpft auf die "weltweite Napalisierung der Weine" (wie in: Napa Valley), die schlimmer sei als Make-up oder Schönheitschirurgie, "denn dabei verliert man wenigstens nicht seine Seele". Sein Job wurde dem gelernten Juristen und Altachtundsechziger nicht in die Wiege gelegt. In der Apothekerfamilie Rosenthal ist nie Wein getrunken worden. Sondern? "Milch."

Auch eine Möglichkeit. Doch nach 138 Minuten "Mondovino" sollte der Weg aus dem Kino eigentlich direkt in eine gute Weinbar führen. Mit dem nötigen Respekt vor den Trauben, nicht unbedingt vor den Namen. (Michael Freund, DER STANDARD, Printausgabe, rondo, vom 27.5.2005)