Berlin - Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist so schlecht wie seit fast zwei Jahren nicht mehr. Das vom Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) ermittelte Geschäftsklima sank im Mai den vierten Monat in Folge auf nun 92,9 nach 93,3 Punkten im April, wie das Ifo am Mittwoch mitteilte.

Dabei bewerteten die rund 7.000 befragten Unternehmen ihre aktuelle Lage minimal besser, ihre Sorgen über die Zukunft nahmen aber gleichzeitig zu. "Eine konjunkturelle Verbesserung ist für die nächsten Monate leider nicht zu erwarten", erklärte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Die für den Herbst geplanten Neuwahlen könnten dem Ifo zufolge die Stimmung etwas verbessern.

Volkswirte hatten einen minimalen Anstieg des Ifo-Index auf 93,5 Punkte erwartet. Der Teilindex zur Lage stieg leicht auf 93,4 von 93,1 Zählern, die Erwartungen fielen auf 92,3 von 93,6 Punkten. Die Exporterwartungen der Industrie gaben leicht nach. Ifo-Volkswirt Klaus Abberger sagte Reuters, solange aber die Wirtschaft noch vom Export profitiere, sollte das Land nicht in eine Rezession rutschen. Das Wirtschaftswachstum werde aber schwach bleiben.

Keine Verzerrung durch Sondereffekte

Analysten sprachen von einem enttäuschenden Geschäftsklima, zumal sich der Ölpreis entspannt und der Aktienmarkt gut entwickelt habe. Andreas Scheuerle von der DekaBank machte die zuletzt weniger günstigen außenwirtschaftlichen Indikatoren als Grund für den Ifo-Rückgang aus: "Das weckt Sorgen über die Auslandabsätze." Ralph Solveen von der Commerzbank sagte, eine Verzerrung durch Sondereffekte gebe es nicht: "Die Unternehmen schätzen die Lage anscheinend wirklich sehr schlecht ein - warum auch immer."

Dem Ifo zufolge trübte sich das Geschäftsklima im Verarbeitenden Gewerbe leicht ein. Dabei habe eine etwas bessere Lage-Einschätzung schlechteren Erwartungen gegenüber gestanden. Im Bauhauptgewerbe beurteilten die Firmen sowohl ihre Lage schlechter als auch ihre Geschäftsaussichten. Weniger pessimistische Aussichten meldete der Einzelhandel, wo sich die Lageeinschätzung zum Vormonat kaum veränderte, erklärte das Ifo.

Zinssenkung wird gefordert

Als Konsequenz aus der mauen Wirtschaftsentwicklung forderte das Ifo eine Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB). "Die weiter schwachen Daten sprechen weiterhin dafür", sagte Abberger. DekaBank-Analyst Scheuerle zeigte sich aber gewiss: "Die EZB wird die Zinsen nicht senken." Dagegen spreche, dass das Geldmengenwachstum noch immer aus dem Ruder laufe. In den letzten Wochen hatten Notenbanker wiederholt eine Zinssenkung ausgeschlossen. Auch wegen der Geldmengenentwicklung will die EZB die Zinsen erhöhen, dürfte dies nach Meinung vieler Analysten aber erst im kommenden Jahr tun.

Der Export hatte die deutsche Wirtschaft im ersten Vierteljahr praktisch alleine vor einem Einbruch bewahrt. Abberger sagte, allerdings gebe es Zeichen für eine leichte Abschwächung der Exporte. Rainer Guntermann von Dresdner Kleinwort Wasserstein sagte, das Wirtschaftswachstum von einem Prozent im ersten Vierteljahr sei sicher ein Strohfeuer gewesen: "Das zweite Quartal wird merklich schwächer." Im zweiten Halbjahr sei dann mit etwas besseren Zahlen zu rechnen, eine Rezession sei nicht zu erwarten. "Es bleibt ein holpriger Verlauf", beschrieb er die weitere Konjunkturentwicklung.

Abberger sagte, ein Vorziehen der Bundestagswahl könnte in den kommenden Monaten die Stimmung der Firmen vielleicht leicht anheben, da Hoffnungen auf weitere Reformen aufkommen könnten. Guntermann sagte, man sollte aber nicht von einem starken Anstieg der Geschäftserwartungen ausgehen.

In Italien trübte sich die Stimmung der Unternehmen ebenfalls weiter ein. Der Geschäftsklima-Index für das Verarbeitende Gewerbe fiel nach Angaben des Forschungsinstituts ISAE auf 84,2 Punkte und damit den tiefsten Stand seit November 2001. (APA/Reuters)