Paris - Für die Umgestaltung der französischen Streitkräfte steht ein wichtiger Stichtag bevor. Erstmals wird ab diesem Samstag ein ganzer Jahrgang junger Frauen in das Musterungsverfahren einbezogen. Streng genommen geht es dabei nicht um eine Musterung, denn die Wehrpflicht wurde in Frankreich im Oktober 1997 mit dem Ziel einer "Professionalisierung" der Streitkräfte abgeschafft. Präsident Jacques Chirac beschied seinerzeit: "Wehrpflichtige sind für Armeen nicht mehr nützlich". Frankreichs Militärs versuchen seitdem, die geeigneten Kandidaten als Berufssoldaten anzuwerben. Um diese Entscheidung vorzubereiten, wird für alle Jugendlichen ein landesweiter "Vorbereitungstag für die Verteidigung" organisiert. Und diese Etappe werden am Samstag erstmals auch 7740 junge Frauen absolvieren. Neue Ära der Landesverteidigung Chirac will im Fort von Vincennes selbst am ersten Verteidigungstag mit der Einbeziehung junger Frauen teilnehmen und im Gespräch mit 17-jährigen Schülerinnen zu der neuen Ära der Landesverteidigung Stellung nehmen. Von der Armee wird die Einladung an die Frauen, sich über eine Entscheidung für die Streitkräfte Gedanken zu machen, als Schritt zur vollständigen Gleichberechtigung dargestellt. In diesem Sinne sind schon Teilerfolge erzielt worden. Immerhin ist der Frauenanteil in den französischen Streitkräften bereits auf 8,3 Prozent angewachsen. 26.000 französische Frauen tragen Soldaten-Uniformen Insgesamt 26.000 französische Frauen tragen Soldaten-Uniformen, und zwar in beinahe allen Waffengattungen. Versperrt bleiben ihnen nur noch einige Sonderbereiche, vor allem die Fremdenlegion und die U-Boote. Dies sind Zustände, die mit denen in Deutschland ganz und gar nicht übereinstimmen. Bei der deutschen Bundeswehr gibt es zur Zeit nur 4.500 Frauen - und es wird noch bis zum Jahr 2001 dauern, bevor das von der 22-jährigen Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof erstrittene Urteil, nach dem die Bundeswehr auch Frauen an die Waffen lassen muss, in größerem Umfang Folgen zeigen wird. Der Vorbereitungstag für die Verteidigung in Frankreich, der an 220 über das Land verteilten Zentren veranstaltet wird, gehört zu einem Verfahren mit drei Stufen: Eine erste Hinführung zu diesem Thema erfolgt dadurch, dass in den oberen Schulklassen wehrkundliche Fragen auf dem Lehrplan stehen. Wenn ein Jugendlicher dann 16 Jahre alt geworden ist, muss er sich innerhalb von zwei Monaten beim Bürgermeisteramt als potenzieller Kandidat für die Streitkräfte melden. Vor dem 18. Geburtstag erhält er schließlich die Einladung zur Teilnahme an der Musterung. Das dreistufige Verfahren sucht einen Ausgleich zwischen der früher mit dem Wehrdienst einhergehenden Zwangs-Rekrutierung und dem Prinzip der Freiwilligkeit herbeizuführen. 1999 hatte das zur Folge, dass sich nur 71 Prozent der jungen Männer und 64 Prozent der Frauen ordnungsgemäß bei ihren Bürgermeisterämtern meldeten. Allerdings dürften die meisten Jugendlichen diesen Schritt mit der Zeit nachholen. Wer nämlich nicht registriert ist und nicht am Vorbereitungstag teilgenommen hat, kann keinen Führerschein machen und wird auch sein Abiturzeugnis nicht ausgehändigt bekommen. "Werbefilme für Waffenhändler" Was bei den Vorbereitungstagen festgestellt wird, ist zum Teil alarmierend. Aus den Statistiken des Pariser Verteidigungsministeriums geht hervor, dass jeder zehnte Teilnehmer beim Lesen erhebliche Schwierigkeiten hat - bei 3,5 Prozent muss sogar von Analphabetismus gesprochen werden. Umgekehrt sind auch die Jugendlichen von der Art, wie sich die Armee ihnen darstellt, nicht immer begeistert. Ein Teilnehmer aus dem Vorjahr, der seine Erfahrungen im Internet beschrieb, berichtete von einem "verlorenen" Tag. Er rieb sich an "Werbefilmen für Waffenhändler" und frauenfeindlichen Witzen, die von einem Offizier vor versammelter Mannschaft zum besten gegeben wurden. Immerhin: Heiterkeit wollte nicht aufkommen, der Offizier wurde schamrot und verstummte nach seinem Fehltritt für mehrere Stunden. (APA)