Nach diesem Votum ist jedes Herumdeuteln und Relativieren durch professionelle EU-Optimisten sinnlos: Der neue EU-Vertrag ist in der vorliegenden Form gescheitert (ein Werk, das von vielen amtsführenden Regierungspolitikern großmäulig und meist zur eigenen Berühmung zur europäischen "Verfassung" hochstilisiert wurde, obwohl es in der Substanz nicht viel mehr darstellt als eine Aufwertung und Konsolidierung bestehender Vereinbarungen). Er wird so im Jahr 2007 nicht in Kraft treten können.

Bei allem Respekt vor der Gleichheit aller EU-Partnerländer: Aber Frankreich ist nicht irgendein Land, sondern der neben Deutschland einflussreichste und wichtigste Gründerstaat der Gemeinschaft. Und die Franzosen haben die Wahllokale regelrecht gestürmt, von Europamüdigkeit keine Spur - die Wahlbeteiligung war höher als 1992 bei der Abstimmung über den Maastricht-Vertrag, der die Union brachte. Sie wurde von Pariser Analysten sogar mit dem Votum über die Begründung der fünften Republik unter Charles de Gaulle verglichen.

Das Ergebnis des Referendums hat also doppeltes Gewicht. Das Ausmaß des Nein spricht für sich. Was sind die logischen Konsequenzen? In der französischen Innenpolitik wird es umfassende Rochaden geben. Dass Premierminister Raffarin zurücktritt ist sicher. Schon werden erste Rufe laut, dass auch ein Rückzug des zerzausten Staatspräsidenten Chirac fällig wäre. Gleichzeitig wird im Herbst in Deutschland gewählt - Stillstand in Europa also. Zum EU-Vertragswerk muss es eine Neuauflage der Verhandlungen (einen zweiten Konvent, mehr Bürgerbeteiligung) mit substanziell veränderten Ergebnissen geben.

Für Österreich gilt: Die Schockwellen dieses gallischen Erdbebens werden voll auf die von Kanzler Schüssel bisher heiß ersehnte EU-Präsidentschaft durchschlagen - ein umfassendes Krisenmanagement steht Wien nun ins Haus. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.5.2005)