Brüssel - Das Nein der Franzosen hat das ehrgeizige Projekt einer europäischen Verfassung ernsthaft in Gefahr gebracht. Um in Kraft treten zu können, muss das Vertragswerk in allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Bis dahin gilt weiterhin der Vertrag von Nizza, auf den sich die EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember 2000 geeinigt hatten.

Vor allem das im Vertrag von Nizza festgeschriebene Modell der Stimmengewichtung im Ministerrat, in dem die Mitgliedstaaten über die EU-Politik entscheiden, gilt als zu kompliziert. Demnach ist eine Entscheidung in einigen Fällen erst dann getroffen, wenn es eine dreifache Mehrheit gibt.

Entscheidend ist zunächst eine qualifizierte Mehrheit der Stimmen im Rat. Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien haben je 29 Stimmen, Polen und Spanien 27. Die Niederlande haben 13 Stimmen, Belgien, Tschechien, Griechenland, Ungarn und Portugal je zwölf. Schweden und Österreich haben zehn Stimmen, Dänemark, Irland, Litauen, die Slowakei und Finnland je sieben. Estland, Zypern, Lettland, Luxemburg und Slowenien kommen auf vier Stimmen, Malta erhält drei.

Ein Beschluss ist dann gefasst, wenn die erforderliche qualifizierte Mehrheit von 232 Stimmen erreicht ist. Voraussetzung ist zudem, dass eine Mehrheit der Mitgliedstaaten - also mindestens 13 - zustimmen. Schließlich kann ein Mitgliedstaat bei einer Entscheidung beantragen, dass die Bevölkerungszahl als dritte Komponente berücksichtigt wird. In diesem Fall muss die Mehrheit der Mitgliedstaaten, die einem Beschluss zustimmen, auch 62 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren.

Die Aufnahme Rumäniens, Bulgariens und auch die der Türkei ist im Vertrag von Nizza bereits einkalkuliert. So bekommt Rumänien nach seinem Beitritt 14 Stimmen im Ministerrat, Bulgarien zehn und die Türkei käme auf 29. Das bedeutet, dass die Kandidaten nach geltendem EU-Vertrag aufgenommen werden können. Die Verfassung ist dafür nicht zwingend notwendig.

Die Verfassung sieht die Abschaffung der Stimmenzahlen im Ministerrat vor. Eine Entscheidung ist dann gefallen, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten dafür sind, die zugleich 65 Prozent der Gesamtbevölkerung vertreten. Eine Sperrminorität muss aus mindestens vier Staaten bestehen. Von diesem neuen Abstimmungsmodus würde vor allem Deutschland profitieren, weil die Bundesrepublik im Vertrag von Nizza - gemessen an ihrer Bevölkerungszahl - unterrepräsentiert ist.

Zudem schafft die Verfassung das Amt eines europäischen Außenministers und eines auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten des Europäischen Rats. Die Politikfelder, in denen mit Mehrheit entschieden wird, werden ausgeweitet, was den Einfluss des Europäischen Parlaments stärkt. In sensiblen Fragen wie der Außen-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts- und Finanzpolitik sollen Mehrheitsentscheidungen nur möglich sein, wenn mindestens 72 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung vertreten. Großbritannien setzte durch, dass in der Steuerpolitik das Vetorecht erhalten bleibt.

Um die EU künftig demokratischer zu machen, müssen die Staats- und Regierungschefs gemäß der Verfassung bei der Ernennung eines Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten den Ausgang der Europawahl berücksichtigen. Bisher können die EU-Chefs alleine die Personalentscheidung treffen, die dann vom Europaparlament bestätigt werden muss.

Auf Drängen Deutschlands wurde in der Verfassung zudem das Prinzip der Subsidiarität festgeschrieben. Danach soll die EU nur das regeln, was sie besser als die Mitgliedstaaten regeln kann. Außerdem soll die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt werden, indem die Abgeordneten Initiativen der EU-Kommission in Frage stellen können. Möglich ist nach der Verfassung auch ein Bürgerbegehren, wenn dafür mindestens eine Million Unterschriften vorliegen. (APA/AP)