Wien - "Durch ein gemeinsames Auftreten beider Börsen wollen wir verstärkt internationale Aufmerksamkeit für unsere Märkte in Mitteleuropa erzielen und so ein erstes gutes Beispiel für die mögliche zukünftige Zusammenarbeit mitteleuropäischer Börsen liefern", so Stefan Zapotocky in Bezug auf die Kooperation mit der Börse Budapest. Die Wiener Börse blickt jedoch auch weiter nach Osteuropa. Zapotocky: "Wir sind an einer engen Zusammenarbeit mit allen mitteleuropäischen Börsen bekanntlich sehr interessiert. In Warschau läuft derzeit eine Vorentscheidung zur geplanten Privatisierung der Warschauer Börse, die es abzuwarten gilt. Auch Prag, Bratislava und Laibach haben wir bereits in diese Gesprächsrunden eingeladen. Es ist derzeit noch zu früh, von einem weitreichenden Zusammenschluss zu sprechen."

Was der Börse-Vorstand sonst noch so denkt, lesen sie im nachstehenden Chat-Protokoll.

Das Protokoll zur Nachlese

MODERATOR derStandard.at begrüßt Stefan Zapotocky im Chat
S. Zapotocky Ich darf Sie namens der Wiener Börse recht herzlich begrüßen und freue mich auf alle spannenden Fragen, die Sie an mich richten wollen.
Fish97 Die Börse hat heute ein Segment für Zertifikate gelauncht. Welche Trends am Wiener Kapitalmarkt sind noch erkennbar?
S. Zapotocky Foto: derStandard.at/Graf
Wir haben zwei Hauptstrategien: 1.: Die permanente Stärkung des heimischen Marktes an Eigenkapital, 2.: die internationale Öffnung der Börse. Im Rahmen der internationalen Strategie wollen wir Plattform für alle Produkte werden, die auch an anderen internationalen Märkten verstärkt angeboten werden und die wir maßgeschneidert für das österreichische Publikum aufbetreiten können.
Useranfrage per Mail:  Wie beurteilen Sie das Vorhaben der Industriellenvereinigung, die Wiener Börse selbst an die Börse zu schicken?
S. Zapotocky Derzeit wird ein Going Public der Wr. Börse von Eigentümern und Vorstand aus mehreren Gründen nicht angestrebt. Wir sind ein voll privatisierter Betrieb und halten die jetzige Aktionärsstruktur für sehr effizient.
Fish97 Worin besteht die Kooperation mit der Börse in Budapest? Derzeit hält die Wiener Börse an der Börse Budapest 14 Prozent. Ist eine Aufstockung geplant?
S. Zapotocky

Eine Investorengruppe unter Leitung der Wr. Börse und der HVB Bank Hungary hält bereits 68 Prozent an der Budapester Börse. In der Vorwoche fand eine sehr erfolgreiche Hauptversammlung an der Börse Budapest statt, in der diese Investorengruppe erstmals mitgewirkt hat und die gemeinsame Strategie der Börsen Budapest und Wien bekannt gegeben wurde.

Kurzfristig ist eine gemeinsame internationale Vermarktung wichtiger Realtime-Daten (zB Indizes) und eine enge Kooperation im Bereich internat. Investoren, aber auch gemeinsamen Lobbyings bei international wichtigen Entscheidungsträgern (zB EU) geplant.

Durch ein gemeinsames Auftreten beider Börsen wollen wir verstärkt internationale Aufmerksamkeit für unsere Märkte in Mitteleuropa erzielen und so ein erstes gutes Beispiel für die mögliche zukünftige Zusammenarbeit mitteleuropäischer Börsen liefern.

Queens Belfast Koennen Sie Ihre Expansionsplaene in Osteuropa kurz darlegen? Werden Budapest, Prag und Warschau zusammen mit Wien eine gemeinsame Boerse bilden? Wo liegen die Schwierigkeiten eines solchen Zusammenschlusses?
S. Zapotocky

Wir sind an einer engen Zusammenarbeit mit allen mitteleuropäischen Börsen bekanntlich sehr interessiert. In Warschau läuft derzeit eine Vorentscheidung zur geplanten Privatisierung der Warschauer Börse, die es abzuwarten gilt.

Auch Prag, Bratislava und Laibach haben wir bereits in diese Gesprächsrunden eingeladen. Es ist derzeit noch zu früh, von einem weitreichenden Zusammenschluss zu sprechen.

Fish97 Nach dem "Nein" der Franzosen zur Eu-Verfassung gibt es viele Spekulationen um den Euro. Was glauben Sie, wird der Euro dadurch zur "schwachen Währung"?
S. Zapotocky Ich gehe nicht davon aus, dass sich an der währungstechnischen Einschätzung des Euro durch dieses und andere Referenden wesentliches fundamental ändert.
Useranfrage per Mail: Wie ist Ihre Position hinsichtlich einer Forcierung des Handels alternativer Finanzmittel (Mezzaninkapital) über die Wiener Börse?
S. Zapotocky Instrumente, die zu einer Stärkung der Kapitalbasis österr. Unternehmen führen werden von uns laufend überprüft und weiterentwickelt. Verschiedenste Ansätze dazu finden Sie auch auf unserer Plattform www.unternehmensfinanzierung.at.
Useranfrage per Mail:  Wie gedenken Sie, die Attraktivität der Segmente "3. Markt" und "Geregelter Freiverkehr" zu erhöhen?
S. Zapotocky

Diese Segmente entsprechen der rechtlichen Grundlage laut Börsengesetz. Im Markt treten wir bekanntlich mit einer sehr markt- und kundenorientierten Segmentierung auf (wie zB Prime Market und Standard Market im Bereich der Eigenkapitalinstrumente).

Das gestern eingeführte Zertifikate-Segment bezieht sich bspw. auf den 3. Markt und den Geregelten Freiverkehr.

LAN2005 ich schreibe momentan an einer diplomarbeit zum thema "finanzierung österreichischer biotech-unternehmen unter besonderer berücksichtigung von venture capital". im februar gab es mit intercell den ersten biotech-ipo an der wiener börse. wie beurteilen sie generell die chancen für österreichische biotechs in wien und was sind die vorteile gegenüber einem listing in frankfurt oder zürich, wo ja mehr erfahrung mit biotechs/wachstumsunternehmen besteht?
S. Zapotocky Eine jüngst präsentierte Studie von Goldman Sachs zeigt klar auf, dass der Wiener Markt auch hinsichtlich seines Liquiditätspotenzials für derartige Transaktionen sich international nicht zu verstecken braucht. Wir sind sehr froh, dass sich Intercell nach mehrjährigen Vorbereitungen und Vergleich aller möglichen geeigneten Börsen für Wien entschieden hat. Das ist ein echter Durchbruch!
Useranfrage per Mail:  Was sagen sie zu werten wie "betandwin", die plötzlich "raketenmäßig" abgehen. immer wieder hört man von einer blase...
S. Zapotocky Wir fühlen uns verantwortlich für die Einhaltung aller Qualitäts- und Transparenzregeln in unseren Marktsegmenten. Einschätzungen zur Preisentwicklung einzelner gelisteter Werte oder gar Bewertungen von Firmen werden von uns nicht vorgenommen.
Fish97 Der Wiener Börse wird auch Interesse in der Türkei, Spanien und Italien nachgesagt. Gibt es da schon konkrete Pläne?
S. Zapotocky Eine enge laufende Abstimmung mit wichtigen westeuropäischen Börseplätzen wie Mailand, Madrid oder Zürich ist für unsere internationale Strategie ganz wichtig und wird noch weiter an Bedeutung gewinnen. Was die Türkei betrifft, so entwickelt sich dort ein sehr starker regionaler Kapitalmarkt. Wir könnten für mehrere dort interessante Produkte gerne unser Know-how zur Verfügung stellen (zB Indizes), wie wir das auch bereits im Rahmen einer erfolgreich gestarteten Kooperation mit der Bukarester Börse.
LAN2005 herr zapotocky, sehen sie wie in anderen ländern europas auch in österreich potenzial für börsengänge heimischer fußballvereine an der wiener börse?
S. Zapotocky Jede sportliche Bereicherung des Kurszettels ist willkommen ;-)
Fish97 Im Bankensektor geht es derzeit "rund". Welche Auswirkungen für die in Wien gelistete BA-CA könnte die Fuion Unicredit/HVB haben?
S. Zapotocky Hier ist alles noch offen, daher kann eine seriöse Einschätzung noch nicht vorgenommen werden.
Fish97 Die Wiener Börse hat 2004 einen Rekordgewinn verbucht. Wodurch verdient eine Börse eigentlich Geld?
S. Zapotocky Im Wesentlichen durch Transaktionsgebühren aus dem Kassa- und Terminmarkt, dem Vertrieb von Daten an internationale Vendoren und listing- und mitgliederbezogene Gebühren. Für die genauen Zahlen siehe Geschäftsbericht 2004, auf unserer Homepage downloadbar (www.wienerboerse.at).
kalind Welche volkswirtschaftlichen Aufgaben hat Ihrer Meinung nach eine Börse?
S. Zapotocky Besonders wichtig erscheint mir die Verstärkung und Sicherung der Eigenkapitalbasis für attraktive, wachstumsstarke Unternehmen an unserem Wirtschaftsstandort. Schon Schumpeter hat vor hundert Jahren die enge Verknüpfung von Real- und Finanzwirtschaft nachgewiesen.
Useranfrage per Mail:  Wieviele IPO's wird es heuer noch geben?
S. Zapotocky Insgesamt erwarte ich, dass dem Kapitalmarkt über vier Milliarden Euro an Neukapital zufließen werden (Kapitalerhöhungen, IPOs und Secondary Public Offerings). Die bisherigen drei IPOs beliefen sich auf 1,2 Milliarden Euro. Mehrere Projekte sind in Vorbereitung, über den Realisierungszeitraum kann und darf ich nichts sagen.
Useranfrage per Mail:  Was bedeutet so ein Mega-IPO wie das der Raiffeisen für die Wiener Börse?
S. Zapotocky Der beste Beweis, dass Wien zu einem international attraktiven Finanzplatz wurde und sich auch das österr. Privatpublikum in hohem Maße wieder für Aktien interessiert.
LAN2005 wie sehen sie die akzeptanz von herr/frau österreicher in punkto aktien? werden die aktien dem sparbuch in zukunft auch hierzulande einmal den rang ablaufen bzw. welchen stellenwert werden sie zukünftig bekommen?
S. Zapotocky

Unser Ziel ist, bis 2008 zwölf Prozent der ÖsterreicherInnen zu interessierten AktionärInnen zu machen (dzt. 8-9 Prozent). Die staatlich geförderte Zukunftsvorsorge wird dazu einen erheblichen Beitrag leisten.

Zudem wird zunehmend indirekt auch über Investmendfonds investiert. Ich glaube jedoch nicht, dass das Sparbuch an Stellenwert verlieren wird.

zorro was macht man eigentlich den ganzenn Tag so als Börsenchef. Muss man sich da mit Fusionsprojekten eine Existenzberechtigung suchen, nachdem mitlerweile alles automatisiert ist?
S. Zapotocky Man kämpft permanent um jeden Kunden! Unternehmenserfolge kann man nicht automatisieren.
Useranfrage per Mail:  Können Sie sich vorstellen einen "Mittelstands-Index" zu entwickeln?
S. Zapotocky Gemeinsam mit dem Kuratorium für den österreichischen Kapitalmarkt haben wir eine Studie beauftragt, die sich mit Eigenkapitalfinanzierungsformen für den Mittelstand befasst. Ergebnisse werden für den Herbst erwartet.
Fish97 Minister Eichel kritisierte, dass es ein Fehler sei, wenn sich Managergehälter ausschließlich an Börsenkursen orientieren. Was sagen Sie dazu?
S. Zapotocky Eine ausschließliche Orientierung an kurzfristigen Ergebnissen halte auch ich für bedenklich. Wichtig ist der nachhaltige, mehrjährige Erfolg. Das gilt aber nicht nur für Gehälter.
staudenhocker dem wiener markt wird oft zu wenig liquidität vorgeworfen. kann die börse da etwas unternehmen?
S. Zapotocky Der Umsatz ist in den letzten drei Jahren von durchschnittlich einer Milliarde auf über fünf Milliarden Euro pro Monat angestiegen. Wichtig dafür war die intensiv fortgesetzte Privatisierung, die Ausweitung des Streubesitzes und die massive Öffnung der Wr. Börse für internationale Teilnehmer.
S. Zapotocky Der Umsatzanteil ausländischer Handelsteilnehmer (große internationale Investmentbanken wie JP Morgan, Deutsche Bank, Merril Lynch, UBS, CSFB) stieg innerhalb der letzten Jahre von unter fünf Prozent (2000) auf derzeit über 40 Prozent.
philia was folgt als nächster karriereschritt, wenn man an der Spitze der Börse steht?
S. Zapotocky Ich bin überzeugt, ich habe noch sehr viel in meiner jetzigen Funktion zu tun und freue mich über das bisher erreichte.
MODERATOR derStandard.at bedankt sich bei Hr. Zapotocky für die Beantwortung der Fragen.
S. Zapotocky Danke für Ihr Interesse an der Wr. Börse. Wir hoffen, auch weiterhin Erfolg für Emittenten wie Investoren liefern zu können. Auf Wiedersehen!