Michail Chodorkowski selbst kann mit einer vorzeitigen bedingten Entlassung frühestens 2008 rechnen. Nachdem die Exmanager des Ölkonzerns Yukos, Chodorkowski und Partner Platon Lebedew, zu beispiellosen neun Jahren Haft wegen Betruges und Steuerhinterziehung verurteilt worden waren, sitzt den russischen Unternehmern und Politikern jetzt der Schrecken tief in den Gliedern.

"Für den Mord an tschetschenischen Zivilisten geht man in Russland frei aus", erinnerte etwa das Wirtschaftsblatt Vedomosti an einen Militärskandal der jüngsten Zeit. Vor einem Kommentar zum Ereignis schreckten viele Unternehmer selbst aber zurück, zumal es ein offenes Geheimnis ist, dass so gut wie alle in den 90er-Jahren ähnliche Geschäftspraktiken wie Chodorkowski angewendet haben. Das Urteil im ersten postkommunistischen Schauprozess ist jedenfalls ein empfindlicher Schlag gegen das Investitionsklima.

Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums schrieb der Causa Yukos die Schuld an der Verschlechterung der Wirtschaftsdaten zu, selbst kremlloyale Staatsvertreter sehen eine neue Kapitalflucht voraus, sogar Finanzminister Alexej Kudrin nannte die Affäre "eine harte Lektion für das ganze Land". Das Vertrauen ins Land sei auf länger erschüttert, er würde sich wünschen, "dass sich der Fall mit Yukos in Russland nicht mehr wiederholt".

Dies wird letztlich von der Bisswütigkeit von Putins höchsten Beamten abhängen. Denn allen verfügbaren Fakten zufolge wurde der Masterplan gegen Yukos, der in vielen Kommentaren mit der Kaltstellung politischer Konkurrenz begründet wird, in der Präsidentenadministration ausgearbeitet.

Die Verurteilten werden gemäß dem Urteil bis 2012 in der Nähe Moskaus inhaftiert. In den kasernenartigen Besserungs- und Arbeitslagern herrscht Bewegungsfreiheit, erlaubt sind ein Dutzend Gepäcksempfänge und Besuche pro Jahr und je nach Gutdünken der Administration kurze Telefongespräche. Für gute Führung kann es frühestens nach sechs Monaten Hafterleichterung geben, nach einem Viertel der Haftzeit ist die Verlegung in eine Strafansiedlung möglich. Nach Verbüßung der halben Haftzeit kann erstmals um vorzeitige bedingte Entlassung angesucht werden – im Fall Chodorkowski im April 2008, knapp nach Ende von Putins zweiter Amtszeit. Dass die beiden Verurteilten dann wirklich freigehen könnten, ist möglich, derzeit aber völlig offen.

Noch ist fraglich, wann die Verurteilten überhaupt die Haft antreten, denn sollte die Staatsanwaltschaft – wie angedroht – nun auch Anklage wegen Geldwäsche erheben, bleiben sie vorerst in Untersuchungshaft. Die Berufungsverhandlungen gegen das jetzige Urteil beginnen im Herbst. (Eduard Steiner aus Moskau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.6.2005)