Wien - Europas Gewerkschaften wollen den negativen Ausgang des französischen und niederländischen Verfassungsvotums nutzen und die verhasste Dienstleistungsrichtlinie samt ihrem Herzstück, dem Herkunftslandprinzip, zu Fall bringen.

"Wir werden massiv Druck auf die Regierungen machen, der EU-Kommission die Gefolgschaft zu versagen", sagte der Chef der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, bei einer Konferenz in Wien.

Zur Konferenz geladen hatten die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und der Gemeindebediensteten (GdG) - Organisationen, deren Mitglieder in erster Linie von den geplanten Liberalisierungsmaßnahmen betroffen wären.

Sollten sich die Anhänger des Herkunftslandprinzips durchsetzen, könnte künftig ein lettischer Bauarbeiter oder ein slowakischer Tischler in Österreich zu den in Lettland bzw. in der Slowakei geltenden Bedingungen beschäftigt werden. Bsirske, der zurzeit auch Präsident der europäischen Dienstleistungsgewerkschaften ist, sprach von einem "unkontrollierten neoliberalen Freilandversuch", den es abzuwehren gelte.

In Österreich sei die Situation auf den ersten Blick zwar etwas entspannter; aufgrund der stark ausgeprägten Kollektivvertragskultur im Land sei gewährleistet, dass ausländische Mitarbeiter gemäß der EU-Entsenderichtlinie nach KV entlohnt werden müssten. Auf den zweiten Blick drohe aber auch den in Österreich Beschäftigten Ungemach. Denn kontrollieren, ob der lettische Bauarbeiter tatsächlich nach österreichischem KV entlohnt werde, würden die zuständigen Stellen in Lettland.

Die EU-Kommission, die im Februar 2004 einen ersten Richtlinien-Vorschlag aus der Feder des damaligen Kommissars Frits Bolkestein präsentiert hat, ist nach lautstarker Kritik vor allem aus Deutschland und Frankreich inzwischen zwar etwas zurückgerudert; am Herkunftslandprinzip will aber auch der mit der Materie befasste neue Binnenmarkt-Kommissar George McCreeve festhalten.

Erleichterungen

Sollten die Kommissionsvorschläge umgesetzt werden wie geplant, sieht auch GPA-Chef Wolfgang Katzian für Lohn- und Sozialdumping Tür und Tor geöffnet. Wie Bsirske ist er der Meinung, dass eine Richtlinie zwar wünschenswert sei, weil man andernfalls dem Europäischen Gerichtshof das Feld überlasse, was auch nicht gut wäre. Das Herkunftslandprinzip aber müsse auf alle Fälle weg.

Die Gewerkschaften plädieren für eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften und sozialen Standards. Gesellschaftlich wichtige Bereiche wie Gesundheit, Bildung, Wasser, Abwasser, Abfall und öffentlicher Verkehr sollten von der Richtlinie ausgenommen werden.

Der Richtlinienvorschlag liegt derzeit im EU-Parlament und wird, wie es aussieht, die Ratspräsidentschaft Österreichs im 1. Halbjahr 2006 beschäftigen. (stro, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.6.2005)