Es muss einmal gesagt werden, Marlen Haushofer hätte es weiter bringen können. Ihr Unglück war ein angeborener Widerwillen gegen mühsame oder langwierige Arbeiten, vielleicht gegen Arbeiten überhaupt. (...) Man stelle sich vor, wie dieses Leben verlaufen ist, als ununterbrochener Kampf zwischen Trägheit und Ehrgeiz. Denn natürlich war sie ehrgeizig und eitel wie jeder Schriftsteller." Hier urteilt nicht etwa ein strenger Kollege, hier spricht Marlen Haushofer über sich selbst - in einem ironischen Nachruf zu Lebzeiten. So kokett das klingt, so ist die Selbstkritik doch ernst gemeint. Sie widerspricht dem Klischee der bescheiden-bienenfleißigen Hausfrau Marlen H., die zwischen Erdäpfelschälen und Apfelstrudelbacken die Garzeit am Küchentisch zum Romanschreiben zu nutzen wusste. Und hätte sie es nicht wirklich weiter bringen können? So weit wie Ingeborg Bachmann zum Beispiel? "Ein gütiges Geschick hat sie davor bewahrt, berühmt zu werden, sie hätte das damit verbundene hektische Leben nicht lange ertragen." Die Selbsteinschätzung schmeckt nach sauren Trauben und ist doch glaubwürdig. Marlen Haushofer taugte nicht zum Mittelpunkt literarischer Gesellschaften. Wer nur den Roman Die Wand kennt, ihr berühmtestes Werk, den wird das Bild der Autorin als still in der Provinz vor sich hin werkende Zahnarztsgattin und Mutter zweier Söhne befremden. Wer wiederum nur die übrigen Bücher der Haushofer gelesen hat, Dokumente einer beengten Häuslichkeit, einer versklavten und sich auch selbst versklavenden Weiblichkeit, den mag die eigensinnige Stärke der realen Person überraschen. Zwischen dem fantastischen Realismus der Wand und dem literarisch noch so sublimen Hausfrauenreport klafft jedenfalls eine Kluft. Die Utopie ist der Ort für das Unerhörte: Die Geschichte von der Frau, die nach einer Giftkatastrophe vom Rest der Welt durch eine durchsichtige Wand getrennt ist und sich nun im Wald mit Kuh und Hund durchschlagen muss, erschien im Jahr 1963, zur selben Zeit wie Thomas Bernhards Erstling Frost . Der Roman lässt sich als Parabel der Existenz ebenso gut lesen wie als Bild eines psychischen Ausnahmezustands oder als zeitkritischer Kommentar zum Wettrüsten und zur Sattheit der Wirtschaftswunderknaben - oder als autobiografisches Bekenntnis. Gerade in jenem Buch Marlen Haushofers, in dem die äußere Freiheit der Protagonistin am engsten begrenzt ist, findet diese zu einer inneren Befreiung. Ein ziemlich gewagter Gedanke: Damit die Frau ein ihr gemäßes Leben führen kann, muss nicht bloß ihre Familie dran glauben, sondern gleich die ganze Menschheit. Hans Weigel, Haushofers väterlicher (und kurz auch nicht väterlicher) Freund, hat ihr Opus magnum in eine Reihe mit Camus' Pest und Hamsuns Segen der Erde gestellt. Die Frauenbewegung entdeckte es in den Achtzigerjahren als Sinnbild weiblicher Selbstfindung: Der Mann, der am Schluss als Zerstörer in den Mikrokosmos der Frau eindringt, wird von ihr ohne viel Federlesens mit dem Jagdgewehr erlegt. Die Szenerie der Wand , das Jagdhaus, das Gebirgstal, die Alm, hat ihren Ursprung in Marlen Haushofers Herkunft und Kindheit: Geboren wurde sie am 11. April 1920 in Frauenstein am Fuße des Sengsengebirges als Tochter eines Försters namens Frauendorfer. Das Forsthaus am Effertsbach blieb zeitlebens für sie die einzig vorstellbare Materialisation von Heimat. Es dient nicht nur als Schauplatz fröhlicher Ferienerlebnisse in Haushofers Kinderbuchklassikern Brav sein ist schwer und Schlimm sein ist auch kein Vergnügen : Die Kindheit ist ganz und gar die Quelle, aus der sich das Werk speist, immer wieder wird sie als entschwundenes Paradies beschworen, das doch zugleich sinnlich höchst gegenwärtig ist. Nicht zufällig also erzählt Marlen Haushofer ihren autobiografischen Roman Himmel, der nirgendwo endet im Präsens. In ihm, gewiss einem der schönsten österreichischen Kindheitsbücher, unternimmt sie eine Verteidigung der Kindheit und der Kinder gegen die abgestumpfte Welt der Erwachsenen, und das ohne alle Nostalgie: So heiter und poetisch Haushofer hier die Geschehnisse aus dem Blickwinkel ihres kindlichen Ich schildert, harmlos ist diese Geschichte nicht. Die Familienkonstellation wirkt in so manchem Text nach: der freundliche, gütige, aber jähzornige Vater, die streng katholische, energische, ehrgeizige Mutter, der jüngere Bruder, der das Mädchen von seinem angestammten Platz verdrängt. Marlen Haushofer blickt sehnsüchtig auf dieses Kind zurück, das sie war - oder glaubt, gewesen zu sein: ein Wildfang, ein Trotzkopf, ungebärdig und widerspenstig, ein Mädchen, das die Sphäre der Küche meidet und partout kein "Pflichtmensch" werden möchte wie seine Mutter und daher sicherheitshalber gleich lieber ein Mann. S tattdessen folgt das Schockerlebnis des Ursulineninternats in Linz, auf das sie mit Verstörung und Krankheit reagiert. Noch vor ihrer Matura holt der Führer das Land und höchstpersönlich auch seine Heimatstadt Linz "heim ins Reich". Marlens Eltern gehören als Christlichsoziale nicht zu den Jublern, die Tochter freilich fiebert nach acht Klosterjahren freilich dem Abenteuer Reichsarbeitsdienst im fernen Ostpreußen entgegen. Den Mann, den sie dort kennen lernt, trifft sie später in Wien wieder, wo sie Germanistik studiert; die Verlobung endet mit einer Enttäuschung und einem Kind, das Marlen heimlich in Bayern zur Welt bringt und für einige Jahre bei der Mutter einer Freundin lässt. Der Retter tritt in der Gestalt des mittellosen Medizinstudenten Haushofer auf, der die Gestrauchelte in den Hafen der Ehe führt und so ihr Schicksal als ein bürgerliches besiegelt. Ein zweiter Sohn wird geboren, der Krieg geht zu Ende, die Familie lässt sich in Steyr nieder. Zur selben Zeit macht Marlen Haushofer sporadisch erste Gehversuche in den Wiener literarischen Zirkeln. Hermann Hakel, jüdischer Remigrant und Entdecker der Bachmann, nimmt sich ihrer an, wird Mentor, Agent, Geliebter und Vertrauter, dem sie ihr Herz über die ewiggestrige Provinz-Society ausschütten kann. Die Faszination für das Ineinander von Dämonie und Idylle, zu der Marlen Haushofer sich ausdrücklich bekannt hat, bestimmte schon ihre ersten beiden Romane, die verschollen sind, weil Hans Weigel sie nicht goutierte: Wie andere Schützlinge Hakels war Haushofer zu Weigels Kreis im Café Raimund übergewechselt. Der eine Roman erzählte vom ungesühnten Mord einiger Frauen an einem Mann. Weigel fand das Buch großartig, aber unmoralisch. Mordgelüste mögen Marlen Haushofer zu jener Zeit nicht fremd gewesen sein: Der frisch etablierte Zahnarzt Dr. Haushofer machte sich in Steyr als Damenfreund einen Namen. 1950 wurde ihre Ehe geschieden, der Scheidungsverlauf bestätigt Marlen Haushofers berüchtigte Passivität: Nicht sie klagte ursprünglich, sondern er, als Reaktion auf ihre angeblich unmäßige Eifersucht. D ie Scheidung hatte keinerlei Konsequenzen, Marlen Haushofer konnte sich nicht dazu aufraffen, ihren Mann zu verlassen, sie versorgte weiterhin die Kinder wie den verhassten Haushalt und flüchtete von Zeit zu Zeit nach Wien. Die Scheidung hielt sie lange geheim, in Steyr traten die beiden weiterhin als Ehepaar auf. Marlen Haushofer litt an Depressionen, über die sie nur mit Hans Weigel offen sprach. Ihr Doppelleben in der Hauptstadt behandelte sie äußerst diskret, eine ernsthafte Beziehung zum Schriftsteller Reinhard Federmann ging in die Brüche. Acht Jahre nach der Scheidung heiratete sie ihren Mann ein zweites Mal. - Schreckliche Treue heißt eine Erzählung Marlen Haushofers. Dieser reale Goldene Käfig bestimmt deutlich den Horizont ihrer Heldinnen. Als soziales Wesen machte Marlen Haushofer, von gelegentlichen Temperamentsausbrüchen abgesehen, gute Miene zum bösen Spiel, als Schreibende schloss sie keine Kompromisse. Die freundlich-sanfte Dame der Steyrer Gesellschaft war eine glühende Anhängerin Rosa Mayreders und Simone de Beauvoirs, deren Analysen der Männergesellschaft Haushofers Werk in einer für die Fünfzigerjahre bemerkenswerten Bildschärfe zu illustrieren scheint. Eine Handvoll Leben , Haushofers erste Romanpublikation (1955), erzählt die Biografie einer Aussteigerin, ohne ein Happy End zu suggerieren. Vielmehr legt die ehemalige Klosterschülerin hier ein schonungsloses Bekenntnis zum Absurden ab, das auch noch auf Camus' Sisyphos-Stolz verzichtet. Die Tapetentür (1957) variiert die weibliche Lebensgeschichte als Fallbeispiel einer (nicht bloß sexuellen) Hörigkeit: Eine emanzipierte Frau stürzt sich in das Abenteuer einer bedingungslosen Liebe und scheitert. Ihre zwingend vorgeführte sukzessive Selbstdemontage, die sie als Einübung in das Normalsein begreift, hat Feministinnen zu Recht an Marlen Haushofers Eignung zur einschlägigen Galionsfigur zweifeln lassen: Propagandafrohmut war ihre Sache wirklich nicht. Eher schon Fatalismus: In ihrer Meisternovelle Wir töten Stella spult Haushofer das Geschehen mit der Zwangsläufigkeit einer griechischen Tragödie ab: Ein honoriger Anwalt verführt ein Mädchen, das in seinem Haus als Gast lebt, und treibt es in den Tod. Seine Frau sieht dem zu, ohne einen Finger zu rühren. Ihre Untat ist ihre Untätigkeit, und so entsteht ein indirekter Bezug zur NS-Vergangenheit, direkte Bezüge gibt es bei Haushofer selten. "Man müßte sich angewöhnen, an den Menschen und Dingen vorbeizuschauen" - Marlen Haushofer kann das nicht. Gerade weil sie den Anforderungen des bürgerlichen Lebens im Grunde nicht gewachsen ist, sieht sie es so scharf. Ihr Realismus ist unheimlich durch seinen doppelten Boden. Ihre Radikalität liegt nicht in der Form, sondern in jener subjektiven "Wahrheit", die sie rücksichtslos mitteilt. Für sie kommt Marlen Haushofer mit einer unprätentiösen, beinahe nachlässigen Sprache aus. Gegenüber ihren experimentellen Zeitgenossen beharrte sie trotzig auf einer anderen Form von Kühnheit: "Jede Dichtung ist ein Experiment." Ihr letztes Buch, Die Mansarde (1969), einen bösartig witzigen, souverän lakonischen Eheroman, schrieb Marlen Haushofer schon schwer krank. Er enthält die Summe ihrer beklemmenden Kunst. Einmal mehr ist hier eine klaustrophobische Situation beschrieben, ein tödlicher Stillstand auf allen Linien, ein müdes Arrangement mit dem Gegebenen - und doch deutet sich für die Ich-Erzählerin die Möglichkeit an, zumindest in der Mansarde des bürgerlichen Hauses einen Freiraum des (Selbst-) Schöpferischen behaupten zu können. Am 21. März 1970 starb Marlen Haushofer in einer Wiener Klinik an Knochenkrebs. Ihr letzter Text ist ein ungerührtes Selbstgespräch: "Der ungeliebte Körper wird nicht mehr schmerzen. Blut, Fleisch, Knochen und Haut, alles wird ein Häufchen Asche sein und auch das Gehirn wird endlich aufhören zu denken. Dafür sei Gott bedankt, den es nicht gibt. Mach Dir keine Sorgen - alles wird vergebens gewesen sein - wie bei allen Menschen vor Dir. Eine völlig normale Geschichte." Nach dem Tod des Ehemannes vor einigen Jahren ging Marlen Haushofers Erbe nicht an ihre Söhne, sondern an ihre Nachfolgerin, Dr. Haushofers zweite Frau, die sich der familiären Tradition des Geheimniskrämens offenbar verpflichtet fühlt. Um den literarischen Nachlass in Steyr ranken sich Mythen und sibyllinische Andeutungen, keiner hat ihn je ganz gesehen, dereinst soll er aber an eine öffentliche Institution verkauft und der schon ungeduldig scharrenden Forschung zugänglich gemacht werden. Wer da eine Biografie schreiben will, wandelt auf steinigem Boden: Lebensdaten unterliegen höchster Geheimhaltung, Autographen werden kurz gezückt, ehe sie wieder im Safe verschwinden, Dr. Haushofers Bild soll der Nachwelt in ungetrübtem Glanz erhalten werden, weshalb einige Seiten aus dem fertigen Buch weichen mussten. S o ist zu hoffen, dass Marlen Haushofer bald aus allen provinziellen Verstrickungen gelöst sein und in der österreichischen Literaturgeschichte ihren Platz neben der Bachmann, der Aichinger, der Kräftner erhalten wird. Das germanistische Naserümpfen gehört wohl der Vergangenheit an: "(Haus-)Frauenliteratur" ist keine Schublade, wo die Haushofer sich problemlos endlagern lässt. Sicher, mit dem theoretischen und auch dem formalen Anspruch der Bachmann lässt der ihre sich schwer vergleichen. Doch Marlen Haushofer hat sich in gewisser Weise auch kleingeschwindelt , hat auf die Pose der Dichterin verzichtet und die Nebenrolle der schreibenden Gattin und Mutter bevorzugt. Man sollte ihr nur darauf nicht hereinfallen: Marlen Haushofer hatte es faustdick hinter den Ohren. Ihre Selbstbescheidung im Familiären mag auch eine Flucht vor der eigenen Begabung gewesen sein, ein Versuch, dem unbedingten Anspruch der Kunst zu entkommen. Für die Rolle des bloßen Opfers war sie freilich zu selbstkritisch, zu humorvoll und zu wenig pathetisch, auch das ein Unterschied zur Bachmann. Wie mutmaßt Marlen Haushofer im Nekrolog auf sich selbst? "Vielleicht war an ihrem schriftstellerischen Talent wirklich etwas daran." Daniela Strigl ist Autorin einer Biografie über Marlen Haushofer, die dieser Tage bei Claassen erscheint: Daniela Strigl, Marlen Haushofer. Die Biographie. öS 321,-/398 Seiten, Claassen, München, Claassen 2000. Buchpräsentation: Steyr, Altes Theater, 11.4., 19 Uhr 30; Wien, Österr. Gesellschaft für Literatur, Palais Wilczek, 17.4., 19 Uhr.

Marlen Haushofers Werke sind bei Zsolnay und Claassen erschienen und als dtv-Taschenbücher erhältlich.