Werner Mück, Chefredakteur der ORF-Fernseh-Information, appelliert an alle politischen Parteien und Interessensvertreter, ihre Kommunikationsstrategien zu reformieren und ihre Diskussionsverweigerung zu beenden. Oppositionskritik an der ORF-Information wies Mück zurück.

Grundrecht auf Information

"Politiker und Funktionäre, die nichts anderes trainieren, als gestellten Fragen wortreich auszuweichen und Verantwortungsträger, die den öffentlichen Diskurs verweigern, erschweren nicht bloß uns Journalisten die Arbeit - viel schlimmer - sie verweigern den Bürgern das Grundrecht auf Information", sagte Mück bei den Wachauer Journalistentagen in Dürnstein.

Politische Bühne

Wenn zuletzt dem ORF seitens SPÖ und Grünen vorgeworfen wurde, zu wichtigen Themen keine TV-Diskussionen mit Spitzenpolitikern zu veranstalten, werde dem ORF "wider besseres Wissen die Verantwortung für die politische Praxis der Parteien zugeschoben". Mück: "In keinem Land Europas diskutieren die Regierungschefs mit den Chefs der Oppositionsparteien im Fernsehen. Sie wollen ihren Kontrahenten außerhalb der Parlamente keine politische Bühne bieten."

Auch sozialdemokratische Kanzler wie Franz Vranitzky oder Viktor Klima hätten sich - außer bei Wahlkonfrontationen - keinen Fernsehdiskussionen gestellt. "Dieselben Medienstrategen der SPÖ, die jahrzehntelang Diskussionen zu verhindern wussten, fordern heute den ORF auf, sie zu erzwingen."

Selbst der mächtigen BBC sei es nicht gelungen, Großbritanniens Premierminister Tony Blair vor der jüngsten Unterhauswahl zu einer Diskussion mit seinen Mitbewerbern zu bewegen. Und Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder sei noch nie gemeinsam mit CDU-Chefin Angela Merkel bei Sabine Christiansen gesessen. "Aber vielleicht löst die Schockwelle der EU-Referenden in Europas Regierungsetagen die Erkenntnis aus, dass Diskussionsverweigerung nicht nur ein Schuss ins Knie des politischen Gegners, sondern auch ein Schuss ins Herz Europas und seiner Bürger ist", so Mück.

Quotenrückgänge bei "Zeit im Bild"

Der ORF-Chefredakteur stand zuletzt unter Dauerbeschuss der Opposition, die bei Mück eine ÖVP-Unterstützung bei der Gestaltung der Fernseh-Information ortet. In der Wachau ging Mück auch auf die Quotenrückgänge bei der "Zeit im Bild" ein. "Wir lassen uns nicht durch jene irritieren, die dem ORF einerseits gerne vorwerfen, er agiere zu kommerziell, um dann flugs bei nächster Gelegenheit mit der Quotenkeule auf die ZiB einzuschlagen und Krokodilstränen darüber vergießen, dass die ZiB im jungen Segment nicht so erfolgreich fischt, wie das die Werbewirtschaft wünscht."

Das Durchschnittsalter des ZiB-Publikums liege seit mehr als 30 Jahren bei 60 Jahren. "Tendenz leicht steigend." Seit 25 Jahren halte die Werbebranche daran fest, dass die werberelevante Zielgruppe die 12- bis 49-Jährigen seien. "Dennoch denken wir nicht daran die 'Zeit im Bild' an der Zielgruppe der 12- bis 49-Jährigen auszurichten und werden aus der ZiB kein Magazin a la 'explosiv' machen. Unsere Antwort ist der News-Flash auf ORF1."

"Familienritual"

Die Quotenrückgänge sind laut Mück auf den "tief greifenden Wandel des Seherverhaltens", die zunehmende Komplexität der Nachrichtenlage sowie das Ohnmachts-Gefühl der Seher zurückzuführen. "Die Zeit des abendlichen Familienrituals der 'Zeit im Bild' ist längst vorbei. Es wird selektiver ferngesehen, das heißt, die allgemeine Nachrichtenlage ist von wachsender Bedeutung."

Bei Großereignissen mühelos 1,7 Millionen Seher

Bei Großereignissen erreiche die ZiB mühelos 1,7 Millionen Zuseher und mehr. "Bei normaler Nachrichtenlage weichen Stammseher auf Unterhaltungsangebote aus." Die Unterhaltungsgenres bildeten die Konkurrenz zu den Informationsangeboten.

In den USA erreichen die großen Fernseh-Networks mit ihren Nachrichtensendungen gemeinsam gerade noch 55 Prozent der Bevölkerung. Das sind um nahezu 20 Prozentpunkte weniger als vor zehn Jahren, berichtete Mück. "Im Vergleich dazu sind die Quotenverluste der deutschsprachigen Fernsehstationen noch marginal und die TV-Information des ORF hält im heiß umkämpften Segment der Kabel- und Satellitenhaushalte trotz geringer Verluste ihre einsame Spitzenposition mit Tagesmarktanteilen bis über 60 Prozent."

Zunehmende Probleme - "auch in Deutschland und Österreich" - bereite die immer komplexer werdende Nachrichtenlage. Die Pensionsreformdebatte habe das Publikum etwa "mehr verwirrt, als aufgeklärt". Mück: "ARD und ZDF mussten ebenso wie wir beim ORF erkennen, dass Nachrichtensendungen unter diesem Thema geradezu litten, während sich die kommerzielle Konkurrenz damit nur gelegentlich und in rudimentärer Kürze befasst hat."

Trends

Ein weiteres Phänomen, sei das "wachsende Gefühl der Machtlosigkeit, das Menschen zur Resignation und Informationsverweigerung treibt". Die aktuelle Debatte um die EU-Verfassung sei ein "Paradebeispiel" dafür. "Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber denen dort in Brüssel - dieses Gefühl birgt Sprengstoff, der sich nicht nur bei Volksbefragungen entlädt." Viele Menschen suchten "in wachsender Resignation Ablenkung und Entspannung durch und bei Unterhaltungssendungen". Mück nannte diese Trends eine "Herausforderung an alle, die in diesem Land Politik, Kultur oder Wirtschaft voranbringen wollen". (APA)