Benjamin Heisenberg: "Das Vertraute verliert seine Unschuld."

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Zwischen Verrat und freundschaftlicher Verbundenheit: Johannes (Bastian Trost) gerät in Benjamin Heisenbergs "Schläfer" in einen Gewissenskonflikt.

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Was passiert, wenn Sie den Auftrag erhalten, Ihren Kollegen zu beschatten? "Schläfer", das Spielfilmdebüt von Benjamin Heisenberg , nimmt diese Frage als Ausgangspunkt eines Planspiels des Verdachts. Dominik Kamalzadeh traf den deutschen Regisseur zum Gespräch.


Am Anfang steht der Verdacht. Johannes (Bastian Trost), ein junger Wissenschafter, wird vom Verfassungsschutz kontaktiert, um seinen neuen Kollegen Farid (Mehdi Nebbou) zu bespitzeln. Obwohl er sich zunächst weigert, ist er ab diesem Zeitpunkt schon angesteckt: Seine Wahrnehmung, später auch sein Loyalitätssinn, sind nicht mehr unvoreingenommen.

Der deutsche Regisseur Benjamin Heisenberg hat mit Schläfer – mitproduziert von der heimischen Coop99 – für eines der beeindruckendsten Debüts der letzten Zeit gesorgt. Mit großer visueller Präzision beschreibt der Film, wie eine gesellschaftliche Verfasstheit genauso wie ein berufliches Konkurrenzverhältnis im Privaten Effekte zeigt und ethische Prinzipien auszuhöhlen beginnt.


STANDARD: Sie verhandeln in Ihrem Film eine gesellschaftliche Verunsicherung. Dafür gab es bestimmt politische Bezüge.

Heisenberg: Der 11. September, aber mehr noch die Gesetze zur inneren Sicherheit, die danach verabschiedet wurden, waren sicher Einflüsse. Mich hat bestürzt, dass man innerhalb zweier Monate Dinge beschließt, die man die letzten zwanzig Jahre bekämpft hat. Ich habe mich gefragt, wie sich das auswirkt: Wenn die Leute privat derart verunsichert sind, dass sie anfangen, ihren Nachbarn, ihre Kollegen oder Freunde zu bespitzeln. Dazu kommt, dass Werte wegfallen, die früher wichtig waren. Die zunehmende Individualisierung führt dazu, dass der ganze Wertehaushalt so schwammig wird, dass man in einer politischen Drucksituation, wie das beim 11. September der Fall war, plötzlich zu irrationalen Entscheidungen neigen kann.

STANDARD: Ein Verdacht wird ausgesprochen, ähnlich wie in Francis Coppolas "The Conversation" – dann beginnt aber kein Thriller, sonder ein realistisches Drama.

Heisenberg: Man könnte aus den Bestandteilen des Films gewiss einen Verschwörungsthriller machen, das Thema legt das ja nahe. In einem ersten Statement zum Film habe ich geschrieben: "Das Vertraute verliert seine Unschuld." Das war einer unserer Grundsätze. Es gab noch einen anderen Satz, ein Zitat des Künstlers Douglas Gordon: "Without Trust Everything is Fiction." Es geht, wie Sie sagen, um diesen Generalverdacht: Man bewegt sich in realistischen Settings, alles ist aber unter diesem Bann. Das gleicht eigentlich einem Collageprinzip. Das ist etwas, was man in einem normalen Thriller nicht bekommt. Der packt den Zuschauer am Kragen und schüttelt ihn durch. Ich lasse ihm Zeit, sodass er selbst beginnt, über das Gesehene nachzudenken.

STANDARD: Die Bilder sind oft verstellt und Perspektiven nicht einsehbar. Motive werden auch visuell umgesetzt.

Heisenberg: Reinhold Vorschneider ist ein Kameramann, der immer nach Bildern sucht, die eine andere Ebene hinzufügen. Schläfer ist ja ein beobachtender Film. Gleichzeitig hat er nicht diesen Sucher-Kamera-Effekt, wie wenn man durch eine Überwachungskamera schaut. Die Figuren werden im Halbprofil über die Schulter, eine gängige Perspektive, beobachtet. Aber es war schon Konzept, den Eindruck zu erwecken, dass man die ganze Geschichte nicht kennt, sondern nur Teilbereiche. Außerdem wollten wir bewirken, dass Personen anwesend scheinen, auch wenn man sie nicht sieht.

STANDARD: Viel Raum nimmt die Arbeitswelt ein, ein Wissenschaftslabor.

Heisenberg: Wissenschaft als Lebensbereich hat mich interessiert, weil ich aus einer Wissenschaftlerfamilie komme. Da geht es ja auch immer um Themen wie Verantwortlichkeit. Und ich bin immer froh, wenn ich etwas in einem Film verstehe. Mir gefällt ja auch Die Sendung mit der Maus sehr gut, wo man einen Ablauf erklärt bekommt. Ich erkläre diese Arbeitswelt, und ich zeige Leute, die von dieser Welt sehr stark beeinflusst ist. Ich finde, solche Szenen sind heute nötiger denn je.

STANDARD: Überrascht hat mich, dass Sie am Ende auch noch die Frage nach dem Glauben und der Religion stellen.

Heisenberg: Religion war für mich schon lange ein Thema. Ich hatte eine Freundin, die gläubig war, und das führte zu großen Diskussionen. In der Debatte um den Terrorismus hat mich dagegen selbst gestört, dass es da eine Haltung gegenüber Religion, speziell den Islam gibt, die auf Unverständnis fußt.

Glaube ist ja nicht intellektuell verständlich, somit auch nicht diskutierbar. Es beruht auf einer Grunderfahrung – wenn man sie macht, erübrigt sich jede Diskussion. Darum geht es auch ein wenig im Film: Johannes ist sich unsicher in seiner Haltung, aber er trifft auf Leute, die sich auf den Glauben beziehen. Er selbst hat vielleicht den Wunsch, diesen zu teilen, kann es aber nicht wirklich artikulieren.

STANDARD: Die Figuren können sich überhaupt nur schwer mitteilen.

Heisenberg: Ich nenne das Entfremdung. Die Sängerin, die am Ende das Lied singt, hat einmal gesagt, sie habe das Gefühl, dass sich alle Figuren immer weiter von sich selbst entfernen. Eine gute Beschreibung. Jeder fängt bei sich selbst an und verliert sich dann im Laufe des Films. (DER STANDARD, Printausgabe, 04./05.06.2005)