Von 6. bis 20. Juni verschwinden in der Wiener Neubaugasse alle kommerziellen Schriftsignale.

Simulation: Steinbrener/Dempf
Wien - "Wenn die Schilder wieder enthüllt werden, wird die Wahrnehmung eine andere sein," prognostiziert Christoph Steinbrener. Von 6. – 20. Juni werden auf der Neubaugasse bis zur Ecke Lindengasse alle kommerziellen Schriftsignale verschwinden: "delete! Die Entschriftung des öffentlichen Raums" heißt das Projekt, das er gemeinsam mit Rainer Dempf entwickelt hat.

Wer dahinter eine neue Werbeform vermutet, irrt. Es geht darum, auf die überquellende Masse an Konsumbotschaften im öffentlichen Raum zu reagieren. Im konkreten Fall mit monochromen rapsgelben Überklebungen, einer Farbe, die vermeidet an das Corporate Design irgendeines Unternehmens zu erinnern. Wirklich gelöscht oder wegretuschiert – wie etwa bei Gregor Graf, der in der Fotoserie "Hidden Town" (2004) Linzer Stadtansichten von Werbung bereinigte – wird nicht, sondern markiert: "Die Leute in der Stadt schauen nicht mehr richtig hin, sondern sie nehmen hin", beschreibt Typograph Dempf die Abstumpfung der Stadtbewohner angesichts immer Raum greifenderer und aggressiverer Werbeformen.

Das Projekt, das gefährlich nahe an tatsächlichen Werbemethoden vorbeischrammt, geht weiter: Ziel ist es, delete! in modifizierter Form auf andere Städte, beispielsweise Hamburg oder Tokio zu übertragen. Aber auch in anderen "öffentlichen Räumen" – beispielsweise Zeitungen - kann mit diesem Prinzip gespielt werden: Das heutige Spezial-ALBUM zum Projekt wurde daher mit einem Alternativ-Design versehen: Was kann verändert werden, um danach noch ein wieder erkennbares Produkt in Händen zu halten?

"Eigentlich gibt es aufgrund sehr ausgefeilter Drucktechniken heute nicht mehr die Einschränkung, sehr robuste Zeitungsschriften zu verwenden." Dempf, sieht seine Veränderungen daher auch als Anregung sich das eigene Produkt wieder genau anzuschauen. Dem Leser präsentiert sich ein "typographisches Verwirrspiel" mit kleinen subtilen Eingriffen, ohne dass die Lesbarkeit Schaden nimmt. Mitunter stehen zwischen den verwendeten Schrifttypen – beispielsweise Garamond und Fleischmann - 200 Jahre Schriftentwicklung, erklärt der Grafiker, der einst "statt Lateinvokabeln das Fontbook auswendig gelernt hat". Neu im ALBUM, von dessen Titel-Lettern nur zwei abstrahierte Textflächen blieben, sind zum Beispiel die extrem "lebendigen Kolumnentitel" am Kopf der Seite, von denen es – wie der Laie erfährt - ganz generell auch "tote" geben kann...

Erste Reaktionen gibt’s übrigens auch schon: Ein Geschäft in der Neubaugasse will die eigenen Werbeformen überdenken und entfernt alle Beschriftungen, um etwas ganz Neues zu machen. (DER STANDARD, Printausgabe, 04./05.06.2005)