Krisenmanagement war übers Wochenende EU-weit angesagt. Aber recht viel mehr als ein Appell des deutsch-französischen Tandems Gerhard Schröder und Jacques Chirac, die Ratifizierungsverfahren zur EU-Verfassung fortzusetzen, ist nicht herausgekommen. Da prompt die kühle Reaktion aus London folgte, ist nicht zu erwarten, dass dem Wunsch der beiden in Großbritannien Folge geleistet wird.

Wenn aber die britische Regierung wie erwartet heute, Montag, die Aussetzung des Ratifizierungsprozesses verkündet, dann wird dies einen Dominoeffekt auslösen. Auch wenn eine Aussetzung des Verfahrens nicht die endgültige Absage bedeutet, so ist doch der erste Schritt genau dazu gemacht. Damit ist ein Präjudiz geschaffen, und ähnliche Ankündigungen aus jenen 13 EU-Staaten, die die Verfassung noch nicht ratifiziert haben, werden folgen. Genauso wenig wie man das Nein in zwei Gründerstaaten ignorieren kann, wird die Abkehr vom bisher vereinbarten Verfahren in einem anderen großen EU-Land ohne Auswirkungen bleiben. Mit dieser Flucht nach vorn stiehlt sich die nicht gerade glorreich wiedergewählte Regierung Blair aus ihrer europapolitischen Verantwortung.

Ein Aussetzen oder Anhalten des Ratifizierungsverfahrens in einem oder mehreren EU-Staaten würde auch ein fatales Signal sein: dass die Meinung der Bürger in diesen Staaten gar nicht (mehr) gefragt ist. Außerdem skizziert ein Stopp des Projekts noch keinen Ausweg aus der derzeitigen Krise der EU, sie würde sie noch verschärfen. Auch der Vorschlag des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso vom Wochenende, dass sich die EU auf Sicherheitspolitik und Wirtschaftswachstum konzentrieren soll, geht in die falsche Richtung. Notwendig ist es vor allem, in der Sozialpolitik auf die Ängste der Bürger zu reagieren. Einfach die Ratifizierung abzublasen ist noch keine Antwort und vor allem keine Lösung der EU-Krise. (DER STANDARD, Printausgabe, 06.06.2005)