Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, generell ein Mann starker Worte, hat am Samstag im Speziellen China gerügt. Die Führung in Peking, so Rumsfeld, gebe viel mehr Geld für Rüstung aus, als sie es nach außen hin eingestehe. 29,5 Milliarden Dollar werden nach offizieller chinesischer Darstellung für Panzer, Raketen und sonstiges Gerät verausgabt - aber Experten meinen, es könnte auch zwei- bis dreimal so viel sein. Das scheint mehr als genug, um Rumsfeld nervös zu machen.

Und Rumsfeld ist nicht der Einzige, der wegen China nervös ist. Schon im Wahlkampf des Vorjahres setzten die amerikanischen Demokraten voll auf das Globalisierungsthema und bezirzten die von steigender Arbeitslosigkeit geplagten Bewohner des Mittleren Westens mit der Versprechung, dass sie mehr gegen die Abwanderung von Arbeitsplätzen nach China machen würden als die gegnerischen Republikaner.

Die Europäer fühlen sich von den chinesischen Textilexporten bedrängt. Die Bush-Regierung und der US-Kongress erregen sich über den an den Dollar gebundenen Yuan-Kurs, der zu niedrig sei, und tragen sich mit Plänen, chinesische Importartikel mit Strafzöllen belegen. Man fürchtet sich wieder vor der gelben Gefahr, die schon zur Blütezeit des europäischen Imperialismus en vogue war.

Einfaches Argument

Bei diesem Bedrohungsszenario gehen wie immer fantasierte und reale Ängste bunt durcheinander - und natürlich sind auch die Interessen derer, die die Beziehungen zu China qualifizieren, ganz unterschiedlich gelagert. "China" lässt sich als einfaches Argument in populistischen Diskursen anwenden. Während die schiere Größe der chinesischen Marktes die Verkäufer aller Länder beflügelt, wächst gleichzeitig die Sorge vor einem Lohndumping im globalen Maßstab an.

Und, siehe Rumsfelds eingangs zitiertes Statement, es wird untergründig insinuiert, dass die Chinesen immer mehr danach trachten werden, ihr wachsendes wirtschaftliches Potenzial auch in ein entsprechendes militärisches Potenzial umzusetzen. Wenigstens in dieser Hinsicht sind die Ängste nicht wirklich realistisch: Angesichts der 430 Milliarden Dollar, die die Amerikaner jedes Jahr für ihr Militär ausgeben, sind die Chinesen doch noch deutlich im Hintertreffen.

Darüber hinaus geht es aber auch um die Frage, ob und wie sich das kapitalistische System, das in den Jahren 1989 ff. einen fulminanten Sieg über den Kommunismus errungen hat, nun im globalen Maßstab bewähren kann. In der Haltung der EU und der USA zu China spiegeln sich auch viele Ängste wider, die in der Logik der Industriestaaten selbst liegen. Was wären denn die ökologischen Konsequenzen, wenn jede chinesische Familie ein Auto ihr Eigen nennen will? Wenn der Autobesitz in China auf die gleiche Rate emporklettern würde wie in den Vereinigten Staaten, dann hätte allein diese Land im Jahr 2030 eine 1,1 Milliarden Fahrzeuge starke Automobilflotte - viel mehr als die 795 Millionen Autos, die es gegenwärtig weltweit gibt.

Und was folgt daraus, wenn der Wert der Arbeitskraft radikal nivelliert wird, nur weil es immer mehr - chinesische - Arbeitskräfte gibt? Andererseits: Mit welchen Argumenten wollte der Westen den Chinesen - und den Indern, die mitterfristig gesehen noch ein viel größeres Bevölkerungswachstum haben werden - die Segnungen eines Kapitalismus vorenthalten, die sie jahrzehntelang entbehren mussten und die von der Prämisse eines konstanten Wachstums kaum zu trennen sind?

In Wortmeldungen wie denen Rumsfelds vom Wochenende spiegelt sich eine Unsicherheit wider, die über den eigentlichen Anlassfall hinausgehend auch weit in eine globale Dimension hineinreicht. Um sie zu bewältigen, wird auch der Kapitalismus nicht mehr mit einer triumphalistischen Haltung gegenüber untergegangenen Ideologien begnügen können, sondern selbst klügere Alternativen entwickeln müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2005)