Linz - Für die Mehrheit der Österreicher ist der Holocaust der Nationalsozialisten keine "Erbschuld" für die heutige Generation. Das ist den Ergebnissen einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstitutes IMAS zu entnehmen, die am Dienstag veröffentlicht wurden. Insgesamt nimmt das "Vergessen" der Ereignisse während des vor 60 Jahren zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieges weiter zu. Der Anteil der über diesen Abschnitt der Geschichte gut Informierten ist gegenüber früheren Umfragen gesunken.

IMAS führte im Zeitraum Februar und April mit eigenen Instituten sowie mit Partnern - darunter das amerikanische Institut "Harris Interactive" - Umfragen in mehreren Ländern durch, in Österreich bei 1.085 Personen ab dem 16. Lebensjahr. Von ihnen verneinten 54 Prozent, dass sich die heute lebenden Österreicher beziehungsweise Deutschen für die Judenvernichtung 1945 mitverantwortlich fühlen müssten. 16 Prozent bejahten die Frage, 31 Prozent waren unentschieden. In Deutschland verneinten 70 Prozent die Frage nach der "Erbsünde", 16 Prozent bejahten sie. In Frankreich sahen 84 Prozent keinen Grund für eine Mitverantwortung der heute lebenden Österreicher und Deutschen, in Spanien 74 Prozent, in den USA 71 Prozent, in Großbritannien 70, in Ungarn 68, in Italien 67, in Tschechien 60, in der Ukraine 56 und in Polen 37 Prozent.

Bei der Frage nach dem Wissen über die Zeit und die Geschehnisse vor 1945 erklärten neun Prozent der befragten Österreicher, dass sie ganz allgemein "sehr gut" informiert seien, weitere 39 Prozent bezeichneten sich als "ziemlich gut" informiert. 43 Prozent bescheinigten sich ein geringes Wissen.

Bei einer ähnlichen Umfrage im Sommer des Vorjahres hatten sich noch 15 Prozent zu den "sehr gut" und 45 Prozent zu den "einigermaßen" Informierten gezählt. Die Personen mit zugegeben geringem Wissen machten einen Anteil von 40 Prozent aus.

Häufige Gespräche über die Kriegszeit finden bei acht Prozent der Befragten statt, bei 40 Prozent wird "ab und zu" über diese mehr als 60 Jahre zurückliegende Geschichtsperiode geredet. Bei 52 Prozent kommt dies "so gut wie nie" vor. Die Meinungsforscher stellten fest, dass sich am ehesten die Zeitzeugen noch öfters über das lange zurückliegende Geschehen unterhalten. "Da jedoch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung auf rund acht Prozent zusammengeschrumpft ist, werden authentische Informationen über die Zeit vor 1945 bald nicht mehr verfügbar sein", machen sie aufmerksam.

In der jüngsten Umfrage gaben 38 Prozent der Befragten an, dass jemand aus der engeren Verwandtschaft sein Leben durch Kriegseinwirkungen verloren habe, sieben Prozent entstammten nach eigenen Angaben aus einer heimatvertriebenen Familie. Bei einer IMAS-Erhebung im Jahr 1995 waren die Hinweise auf familiäre Opfer noch erheblich zahlreicher. "Es besteht offenkundig eine Tendenz zum Vergessen der Opfer aus dem engsten Verwandtenkreis und damit ein abnehmendes Gefühl mit der Vergangenheit verflochten zu sein", analysieren die Meinungsforscher. (APA)