Wien - Alfred Brendel, Klavierphilosoph, webt, wenn er am Klavier sitzt, einen Klang, den man mit Seele und Ohr hört. Sein Rezital gestaltete sich abgeklärt - er muss nichts mehr beweisen. Ob zur Bekräftigung dessen Jopi Heesters im Publikum saß? Brendel beugt sich also mit sorgenumwölkter Stirn über die Tasten, dann geht es los. Mozart schlägt ja in den Neun Variationen über ein Menuett von Duport D-Dur K 573 bisweilen ziemlich viel Obers.

Doch Brendel nimmt das kleine Huldigungswerk, das geschrieben wurde, um den Cellolehrer des Preußenkönigs für sich einzunehmen, nicht als Schwergewicht. Er sucht keine Geheimnisse dahinter. Hier passierten auch ein, zwei unmerkliche Unsauberkeiten. So what. Bei Schumanns Kreisleriana op. 16 führt er den sprunghaften Charakter vor. Viel wichtiger aber scheint es ihm, große Sinnzusammenhänge zu stiften: da ein exzentrischer Kapellmeister aus E. T. A. Hoffmanns Kater Murr, dort der harte Kampf um Clara Wieck. Den neobarocken Mittelteil kennt man kaum so hart und rasch. War es der eigenwillig-isolierte Altersstil, der die Schubert'schen Moments musicaux D 780 herb bis zur Bitternis erklingen ließ? Hier ging der Pfad nach innen.

"Zu Beethoven muss man immer zurückkehren", lautet ein geflügeltes Brendel'sches Wort. Gemächlich durchstreift er dessen Sonate D-Dur, die Pastorale, als würde er sie beim Spielen neu erfinden. Mit mehr Ernst und der Fähigkeit, eine makellos atmende Kantilene auszusingen, ist die Musik kaum zu nobilitieren.

Polyfone Klarheit

Dass es den Pianisten Daniel Barenboim zu Beethoven zieht, ist richtig und falsch zugleich. Der Mann ist vielseitig - es zieht ihn eigentlich überall hin. Ab 17. Juni wird er in Berlin alle Klaviersonaten spielen; in Wien, wo er unlängst Schönberg spielte, erinnerte er daran, dass er gerade Bachs Wohltemperiertes Klavier (Buch I) aufgenommen hat (bei Warner).

Tendenziell ist sein Bach durchdrungen von der Zuneigung zum Filigranen und Leichten, das auf der Basis polyfoner Klarheit einherschwebt und die Linien zu sanglichen Phänomenen werden lässt. Auch daraus ergibt sich ein rhythmischer Drive, ein ebenmäßiges Pulsieren. Es hat jedoch selten etwas Drängendes, ist eher wolkig-romantisch, eben geprägt von der vollen Ausnutzung der emotionalen Klaviermöglichkeiten. Den Dualismus Präludium/Fuge vermag er in eine Gesamtdramaturgie jedoch nicht zu überführen. Es bleibt bei punktuellen Höhepunkten. (henn, tos / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2005)