Wegen Anlassgesetzgebung zu wettern, dennoch eines Kampls wegen die Verfassung ruck, zuck zu ändern, aber mit dessen Gesinnungsfreunden ungeniert weiterzuregieren – das ist praktizierter Antifaschismus der österreichischen Regierung im Gedankenjahr. Die Opposition gibt sich erleichtert, dabei mitmachen zu dürfen, und hält sich schon für wachsam, wenn sie ein Tüttelchen am Regierungsvorschlag ändern kann. Es ist eine Tragikomödie offizieller Ratlosigkeit.

Obwohl es ja angeblich in keiner Partei Anhänger personenbezogener Anlassgesetzgebung gibt, stellte man in diesem‑ Fall alle Bedenken zurück und beschränkte sich auf das Bekenntnis, den Eingriff in die Bundesverfassung so gering wie möglich ausfallen zu lassen. Das wirft die doppelte Frage auf: Ist Anlassgesetzgebung eine Frage der Dosis, und wie unerfreulich darf ein Anlass sein, um eine wie große Verfassungsänderung zu rechtfertigen? Weil sie den Kampls jahrzehntelang nicht mit einfachen Gesetzen beikommen konnten, erhoben die Parteien nun die "Unerfreulichkeit" zu einem Tatbestand, der seine verfassungsgesetzliche Bewältigung rechtfertigen soll.

Wenn es wenigstens ei-‑ ne Bewältigung wäre! Man solle vermeiden, mahnte der Bundespräsident, die Kampls aufzuwerten, indem man ihnen eine Wichtigkeit beimisst, die ihnen nicht zusteht. Richtig. Aber wenn die Konsequenz der Parteien aus dieser Erkenntnis darin besteht, zum Zweck der Nichtaufwertung Kampls die Verfassung zu ändern, dann drängt sich die Frage auf, welche Wichtigkeit hier der Verfassung beigemessen wird. Offenbar keine allzu große, wenn nur der Aufwand Wolfgang Schüssel ein äußerlich halbwegs unbeflecktes Weiterregieren ermöglicht.

Und die Opposition hat sich – letztlich ein Schulterschluss – vor den Karren eines Problems spannen lassen, das gar nicht entstanden wäre, hätte das Land eine Regierung, die diesen Namen verdient. Eine solche wäre stark genug gewesen, Kampl vom Vorsitz des Bundesrates fern zu halten, ohne dass man dafür die Verfassung hätte ändern müssen. Aber das Einzige, was letztlich zählt, Schüssels Kanzlerschaft, hängt am BZÖ; und dort ist die Empörung über die Auffassungen eines Kampl eben nicht groß genug, um ihn zu verhindern. Da muss halt mit der Verfassungskeule zugeschlagen werden, um wenigstens den Anschein von Anstand wahren zu können.

Denn mehr ist es ja nicht. Was gestern beschlossen wurde, kann einen Bundesratsvorsitzenden Kampl verhindern, aber die letzte Entscheidung liegt in Kärnten. Was Schüssel wohl tun würde, wenn Jörg Haider es sich anders überlegt und von den Möglichkeiten der geänderten Verfassung keinen Gebrauch macht? Unwahrscheinlich, aber eine gewisse Neigung dazu ist ihm, neben seiner Grundüberzeugung, nicht abzusprechen, beklagte er doch eben wieder: "Wenn einer dann so redet, wie es nicht passt, dann wird er mit der Moralkeule niedergehauen."

Wem es nicht passt, ließ er offen, es soll sich schließlich keiner von denen betroffen fühlen, die Kampl bestärkten, von seinem Rücktritt als künftiger Vorsitzender des Bundesrates wieder zurückzutreten. Nun wurde das Arsenal der Heuchelei eben um die Verfassungskeule erweitert.

Wirklich fürchten müssen sie sich nicht. Kampl bleibt ja im Bundesrat, denn das Vertrauen seiner Kärntner Klientel in ihn ist un^gebrochen, Verfassung hin oder her. Manche bleiben eben ihr Leben lang Opfer, erst der brutalen Naziverfolgung, und reden sie einmal so, wie es nicht passt, werden sie Opfer einer brutalen Demokratie. Soll noch einer sagen, Österreich wäre 1945 befreit worden! Aber sein nun verfassungsmäßig konzessionierter Nachfolger ist sicher aus ganz anderem Holz geschnitzt. Dafür garantiert das Kärntner BZÖ. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.6.2005)