Oscar Olivera sieht schwarz für die Zukunft Boliviens.

Foto: Gerhard Dilger
derStandard.at: Herr Olivera, lassen Sie uns Bilanz ziehen über die Präsidentschaft von Carlos Mesa.

Oscar Olivera: Mesa hat eine große Mitverantwortung für die derzeitige Krise: Er hat die Agenda vom Oktober 2003 nicht erfüllen wollen, die Nationalisierung der Erdöl- und Erdgasreserven und die politische Reform. Auf diesen zwei Gebieten war er unentschlossen: Zuerst wollte er ohne Parteien regieren, dann mit ihnen, dann hat er die Interessen der Multis vertreten und die Anweisungen der US-Botschaft erfüllt. Die Leute hatten es satt. Sie sagten nicht nur, Mesa soll weg, sondern: Alle sollen weg!

derStandard.at: Wie agieren die USA in Bolivien?

Oscar Olivera: Wie anderswo auch, als Supermacht. Sie mischen sich offen und zynisch in unsere Staatsgeschäfte ein, bestimmen Minister, gegen andere legen sie ihr Veto ein. Nachdem Mesa seine Schuldigkeit getan hatte, unterstützten sie Hormando Vaca Díez. Mesa war für sie nicht mehr in der Lage, Ordnung herzustellen und die Interessen der transnationalen Konzerne zu verteidigen.

Der Kongresspräsident Vaca Díez wurde 2002 von Goni (Ex-Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada) ernannt, sicher auch mit der verfassungsmäßigen Nachfolge im Hinterkopf. Ohne den Segen der USA geht so etwas nicht. Er will sich außerdem dafür rächen will, dass Mesa Goni "verraten" hat, als er die Massaker im Oktober nicht mitgetragen hat. Stunden vor seiner Rücktrittsankündigung am Montag haben sich Mesa und die Militärs in der Residenz des US-Botschafters versammelt.

Eine Präsidentschaft von Vaca Díez wäre die Rückkehr jener Traditionsparteien gewesen, die fast 20 Jahre lang Arbeiter und Bauern massakriert, die Plünderung unserer Ressourcen erlaubt und unsere Staatsfirmen verscherbelt haben. Seit dem "Wasserkrieg" 2000 sind wir in vielem vorangekommen. Diese fünf Jahre werden wir nicht einfach über Bord werfen.

derStandard.at: Die Oberschicht aus Santa Cruz, zu der Vaca Díez ja gehört, sieht das anders.

Oscar Olivera: Ja, die Konfrontation kann immer noch eskalieren, und die US-Regierung will das. Angeblich um eine Konfrontation zwischen Bolivianern zu vermeiden, wird eine Besatzung durch Blauhelme vorbereitet. Die könnten garantieren, dass die Multis weiterhin das Gas und das Öl aus dem Land schaffen, vor allem nach Argentinien und Brasilien.

derStandard.at: Die wichtigste Rolle spielt dabei die brasilianische Staatsfirma Petrobras.

Oscar Olivera: Das ist ein Multi wie alle anderen auch.

derStandard.at: Was heißt Nationalisierung der Ressourcen für Sie? Eine Enteignung der Ölfirmen oder Abgaben von 50 Prozent auf die Produktion, wie sie Evo Morales fordert?

Oscar Olivera: Erstens die Annullierung aller Verträge. Im April hat unser Verfassungsgericht festgestellt, dass alle Verträge, die nach der Privatisierung 1996 unterschrieben wurden, illegal sind, weil sie nicht vom Kongress ratifiziert wurden. Zweitens die volle Rückgewinnung der Souveränitat über unsere Erdöl- und Erdgasreserven, die jetzt in den Händen der Multis sind. Drittens muss die staatliche Erdölfirma sofort auf die Öl- und Gasfelder gehen und anfangen zu kontrollieren. Schließlich müssen neue Verträge abgeschlossen werden, in denen Abgaben von mindestens 50 Prozent festgelegt werden. Sie sehen, wir sind pragmatisch, es geht nicht um Enteignung.

derStandard.at: Und was versprechen Sie sich von einer verfassunggebenden Versammlung?

Oscar Olivera: Mit der Nationalisierung hätten wir eine finanzielle Basis, um die Probleme des Landes zu lösen. Wir wollen ein neues Staatswesen für alle und nicht wie jetzt ein Parteienmonopol. Es geht um Partizipation, um die gerechte und transparente Verteilung des Reichtums, eine Form des Zusammenlebens zwischen den bislang Ausgeschlossenen und der Oligarchie, die seit 500 Jahren an der Macht ist.

derStandard.at: Doch die Linke ist gespalten: Evo Morales möchte die nächsten Wahlen gewinnen, Jaime Solares vom Gewerkschaftsdachverband und andere wollen eine Revolution und befürworten die Beteiligung "progressiver" Militärs.

Oscar Olivera: Beide sollten bescheidener sein. Vor allem Solares treibt sein ganz persönliches Projekt voran, dazu sind wir nie gefragt worden. Die Arbeiterbewegung ist schwach. In der Regierung hat das Militär nichts verloren, wir Bolivianer haben genug Erfahrungen damit gesammelt. Morales hingegen versucht, einen friedlichen Übergangsprozess zu bewahren, aber ohne die Spielregeln substanziell zu verändern. Er vertraut dem parlamentarischen System zu sehr. Die Basis hat da weniger Illusionen, sie verlangt viel weitergehende Reformen, und nicht erst in hundert Jahren.