Tiefland-Riesenhonigbienen (Apis dorsata) sind drei Zentimeter große Bienen, die in den Tropen und Subtropen Südostasiens verbreitet sind. Im Unterschied zu den heimischen Honigbienen, die ihre Waben in Höhlen bauen, hängen die Nester der Riesenhonigbienen gewöhnlich frei an Ästen oder Felsen und bestehen aus einer Zentralwabe, die einen Durchmesser von bis zu zwei Metern haben kann. Gerald Kastberger vom Institut für Zoologie der Universität Graz befasst sich seit mehreren Jahren mit der faszinierenden Biologie dieser Bienen. So wandern sie zweimal im Jahr bis zu 100 Kilometer weit. Im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds geförderten Projektes konnte Kastberger nachweisen, dass die Königinnen mit ihren Völkern immer wieder zu ihrem ursprünglichen Nistplatz zurückfinden - eine Orientierungsleistung, die bisher nur von Wirbeltieren bekannt war, nicht aber von sozial lebenden Insekten.

Im selben Forschungsprojekt beschäftigten sich Kastberger und seine Mitarbeiter auch mit einem weiteren Verhaltensaspekt, der Riesenhonigbienen auszeichnet, und zwar mit deren speziellen Verteidigungsleistungen. Die Hauptfeinde der Bienen sind Wespen und Vögel wie beispielsweise Bienenfresser und Wespenbussarde. Bienennester, die nicht auf Bäumen, sondern in Sträuchern gebaut werden, können außerdem durch Büffel, Elefanten und Nashörner massiv gestört werden (und dann gibt es natürlich noch die Forscher, die heftig auf den jeweiligen Ast schlagen, um zu sehen, wie die Bienen reagieren.) Für die Bienen gilt es also, den unterschiedlichen Bedrohungen mit geeigneten Strategien zu begegnen.

Auf der Wabe des Nestes hängen zehntausende von Bienen. Dabei können bis zu sieben Schichten einen beweglichen Bienenvorhang bilden, der nur an manchen Stellen mit der Wabe verbunden ist. Kommt eine Wespe dem Nest zu nahe, schlagen die Bienen der obersten Schicht des Vorhanges, in deren Nähe sich der Feind befindet, ihren Hinterkörper (das Abdomen) nach oben. Ihre Nachbarinnen folgen ihrem Beispiel, und innerhalb einer Sekunde entsteht eine Bewegung, die in Form einer schimmernden Welle über den Bienen-Vorhang wandert. Deshalb wird dieses Verhalten in der englischen Sprache "shimmering behaviour" genannt. Kastberger hat dafür auch den Begriff "Verteidigungswellen" geprägt.

Dieses Verhalten scheint mehrere Funktionen zu haben: Erstens kann es die Wespe verwirren und ihr das Ausmachen und Ergreifen einzelner Bienen erschweren. Zweitens setzen die Bienen beim Hochwerfen des Abdomens Sozialpheromone frei, Duftstoffe, mit deren Hilfe sie den anderen Bienen die Botschaft übermitteln, im Verband zu bleiben und nicht allein gegen den Angreifer vorzugehen. Der Vorteil dieser Verteidigungswellen: Das Sitzen- beziehungsweise Hängenbleiben und das Hinaufschlagen des Abdomens braucht viel weniger Energie und ist viel weniger gefährlich, als den Feind zu attackieren. Dazu kommt, dass Wespen so gut gepanzert sind, dass die Bienen keine Chance haben, sie zu stechen. Stattdessen ziehen die Bienen eine Wespe, die dem Nest zu nahe kommt, ins Innere, umballen sie und heizen sie durch Aktivieren ihrer Flugmuskulatur so stark auf, dass sie nach wenigen Minuten daran stirbt.

Die Wespen reagieren auf dieses Verhalten insofern, als sie einen Respektabstand von mindestens einem halben Meter vom Nest halten. Dort allerdings bleiben sie und jagen - ziemlich erfolgreich - die dort umherfliegenden Bienen. Dagegen haben die Bienen bisher keine Gegenstrategie entwickelt, sodass die Wespen im koevolutiven Wettlauf zwischen Jägern und Gejagten derzeit offenbar vorne liegen.

Auf Bedrohungen, die von Vögeln und Säugetieren ausgehen, reagieren die Riesenhonigbienen, indem innerhalb weniger Minuten Bienen aus tiefer gelegenen Schichten an die Oberfläche kommen. Diese stellen eine Art erste Eingreiftruppe in Warteposition dar - das Nest wird sozusagen scharf gemacht. Bei der nächsten Störung können sich innerhalb einer Sekunde Hundertschaften von Wächterinnen auf den Feind stürzen. Vögel, die mehrfach an das Nest heranfliegen, werden von diesen fliegenden Wächterinnen verfolgt. Bienenfresser jedoch lassen sich davon nicht abschrecken - sie haben im Gegenteil ein Verhalten entwickelt, das es ihnen erlaubt, davon zu profitieren: Sie lassen sich im nächsten Baum nieder und fassen sich die Bienen genüsslich aus dem Federkleid, während diese versuchen, sie zu stechen.

Eine sehr eindrucksvolle Verteidigung zeigen die Riesenhonigbienen, wenn der Ast, an dem sie hängen, durch Großsäuger oder Forscher erschüttert wird: Sofort aktivieren die Bienen aller Schichten des Vorhanges ihre Flugmuskulatur und strecken dabei wie bei den Verteidigungswellen ihren Hinterkörper weg. Das sieht aus, als würde sich das gesamte Nest aufbäumen, während sich die Flügelbewegung wie das Zischen einer Schlange oder das Schnauben eines großen Säugers anhört. Das Bienenvolk wirkt dabei sowohl optisch als auch akustisch wie ein einziger großer Organismus.

In den nächsten Jahren will Kastberger klären, wie die Bienen es anstellen, innerhalb weniger Sekunden auf verschiedene Bedrohungen so konzertiert zu reagieren. Wahrscheinlich beruht das Verhalten der Riesenhonigbienen, auch wenn es außerordentlich intelligent und wirkungsvoll erscheinen mag, auf dem Prinzip der Selbstorganisation, das heißt, dass die Nestgenossinnen bei den verschiedenen Bedrohungsszenarien nur einige wenige und einfache Regeln befolgen müssen. Dazu brauchen sie aber Informationen über den Zustand des Stockes.

Diese könnten sie unter anderem aus jenen Signalen gewinnen, die entstehen, wenn sich der Bienenvorhang bewegt. Zum Beispiel während der Verteidigungswellen, wenn viele Oberflächenbienen synchron ihr Abdomen in die Höhe schlagen. Kastberger vermutet, dass die Bienen solche Beschleunigungssignale über ihre Beine wahrnehmen und so zu Informationen über den Zustand der Kolonie kommen, zum Beispiel was Sammelaktivität oder Verteidigungsbereitschaft betrifft. Diese Hypothese möchte er in den kommenden Jahren direkt am Bienenvorhang messen, um die einzigartige Kommunikationslogistik der Riesenhonigbiene verstehen zu lernen. (Susanne Strnadl/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12. 6. 2005)