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Junge Frauen in Teherean vor einem Plakat des Favoriten bei der Präsidenten- wahl nächste Woche, Ali Akbar Hashemi Rafsandjani.

Foto: REUTERS/MORTEZA NIKOUBAZL

Schwarz ist out. Hell sind die Modefarben des Teheraner Sommers. Dazu passend ein Kopftuch, das mehr von der der gestylten Frisur zeigt als verhüllt. Der Saum des eng anliegenden Manteau ist soweit hochgerutscht, dass auch Inlineskating auf den schattigen Wegen des Laleh-Parkes gefahrlos möglich ist. Ein gar nicht dezentes Makeup und Nailart gehören zum Outfit genauso wie Fußkettchen und offene Sandalen. Nasenkorrekturen sind ein grassierendes Phänomen, und Frau scheut sich auch nicht, die blauen Operationsflecken und das Nasenpflaster offen zur Schau zu stellen.

Nirgends sind die schleichenden Veränderungen in der Islamischen Republik so deutlich wie im Erscheinungsbild der Frauen. "Zentimeter für Zentimeter, Schritt für Schritt holen sich die Frauen und die Jugendlichen ihre Rechte und Freiheiten wieder zurück", sagt die Soziologin Zibah Jelali. "Es gibt DJs, Drinks und Drogen. Ich habe hier genauso viele Freiheiten wie ich in den USA hatte", fügt ihre Tochter Leilah hinzu. Wer eine Party feiert, zahlt einfach Schmiergeld an die Moralpolizei.

Die Länge des Mantels, die Menge der gezeigten Haare, die laut dröhnende Musik - in diesem System ist alles Private auch politisch. Die Kluft zwischen den offiziellen Anordnungen und der Realität wird immer größer. "Dieser Trend der größer werdenden privaten Freiräume ist unumkehrbar. Irgendwann werden auch die Gesetze nachziehen müssen", ist Jelali überzeugt.

Zeuge einer geistigen Öffnung ist Muhammad Legenhausen, der am Imam Khomeini Institut in Ghom seit über zehn Jahren Religionsphilosophie unterrichtet. "Die Veränderungen sind groß. Bei der Wahl von Dissertationsthemen gibt es kaum mehr Tabus. Wissenschaftliche Kriterien sind wichtiger als Dogmas", sagt der zum Islam konvertierte Amerikaner.

Habermas in Ghom Ausländische Gäste wie etwa der deutsche Philosoph Jürgen Habermas werden von den Studenten begeistert empfangen. Legenhausens Aufsatz "War Hegel ein Muslim?" musste in der persischen Fassung dann aber doch unter einem weniger provozierenden Titel erscheinen.

Denn es gibt Grenzen. Keinen großen Wirbel veranstalten, das ist die Devise der Soziologin Jelali, die wie ihre Tochter in einer Nichtregierungsorganisation (NGO) aktiv ist. "Lautsein bedeutet das Ende", sagt Jelali, die einräumt, dass es jetzt ganz einfach ist, eine NGO zu gründen. Mit dem Resultat, dass der Iran - im Gegensatz etwa zu den meisten arabischen Ländern - über eine blühende Zivilgesellschaft verfügt. Frustriert von der politischen Blockade, verwenden viele Iraner ihre Energie auf dieses Gebiet. "Diese Arbeit ist wie eine Therapie", findet Leilah, die selbst in einer NGO mitmacht, in der sich junge Menschen überlegen, wie sie zu einer Arbeit kommen. Die Mutter engagiert sich in einer NGO, die sich mit Aufklärungsarbeit über die Rechte der Familie und Erziehung befasst.

"Zu eng, zu kurz dein Mantel. So will ich dich hier nicht mehr sehen", herrscht eine schwarz verhüllte Grenzbeamtin auf dem Flughafen in Teheran eine modisch gekleidete Studentin, die nach Dubai ausreist, an. Die Studentin nimmt die Drohung gelassen, und im Flugzeug ist auch ihr Kopftuch weg. (DER STANDARD, Print, 11./12.6.2005)