Wenn nur noch 38 Prozent der Österreicher meinen "Juden sind zu Israel loyaler als zu Österreich", es im Vorjahr aber noch 46 Prozent waren, dass ist das ein signifikanter Rückgang antisemitischer Einstellungen, aber das Niveau dieser Einstellung ist immer noch sehr hoch.

Für Leute, die an dieser Stelle fragen "Wieso, das ist doch gar nicht antisemitisch, das wird man doch noch sagen dürfen" sei erklärt, dass Antisemitismus immer dann vorliegt, wenn mit offenem oder verstecktem negativen Unterton von "den" Juden und ihren angeblichen Eigenschaften gesprochen wird (zur weiteren Definition und zu Fallbeispielen siehe mein 2004 erschienenes Buch "Israel, Europa und der neue Antisemitismus"-Molden Verlag).

Die oben zitierte Umfrage der "Antidefamation League" (ADL), die europaweit solche Erhebungen durchführt, zeigt auch bei anderen Schlüsselfragen leicht rückläufige Ergebnisse für Österreich, bei immer noch hohem Niveau: "Juden haben zu viel Einfluss in der Wirtschaft" (24 nach 25 Prozent), "Juden haben zu viel Einfluß auf den internationalen Finanzmärkten" (33 nach 36 Prozent), "Juden reden immer noch zu viel über den Holocaust" (46 nach satten 54 Prozent).

Umfragen dieser Art unterliegen Schwankungen, wobei meist kontroverse Aktionen des Staates Israel eine negative Wirkung haben. auch in der ADL-Umfrage sagten 53(!) Prozent, ihre Meinung über die Juden habe sich aufgrund der Aktionen des Staates Israel verschlechtert (ein klassischer Fall von Antisemitismus: "Die" Juden werden gleichgesetzt mit einem Staat). Umgekehrt lösen "einschlägige Sager" von Politikern und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die als NS-Verharmlosung empfunden werden, aber vordergründig auch gar nicht das Thema "Juden" aufgreifen, Reaktionen aus, die man mit "das ist denn doch zu arg" umschreiben könnte.

Die ADL-Umfrage wurde übrigens in zwölf europäischen Ländern durchgeführt und zeigt ein durchgängig hohes Niveau antisemitischer Einstellungen. Österreich sticht da nicht unbedingt hervor, allerdings zeigten andere Umfragen, dass etwa nur zwei Prozent der Deutschen, aber 18 Prozent der Österreicher nicht neben Juden leben wollen. Grundsätzlich kann man bei uns von einem relativ hohen Level an antisemitischen Einstellungen sprechen, aber das ist keine Überraschung.

Immerhin scheinen offene, krass antisemitische Haltungen, wie sie manchmal an die Oberfläche durchbrechen, im Augenblick seltener zu sein. Die Tatsache, dass ein Politiker wie John Gudenus mit seiner absurden Behauptung, "im Dritten Reich" habe es keine Gaskammern gegeben (sondern "nur" in Polen) praktisch keine Verteidiger in der Öffentlichkeit findet und jetzt sogar staatsanwaltschaftlich untersucht wird, spricht für eine etwas andere Mentalität als früher.

Aber das sind alles bescheidene Tröstungen. Antijüdische Stereotypen wie "zu viel Macht in der Finanzwirtschaft" halten sich in ganz Europa von Spanien (54 Prozent) bis Ungarn (55 Prozent) und Polen (43 Prozent) , oder von Belgien (33 Prozent) bis Italien (32 Prozent) mit erstaunlicher Hartnäckigkeit und mit hohen Raten. Nur in Großbritannien (16 Prozent) oder den Niederlanden (19 Prozent) sind diese Vorurteile nicht so ausgeprägt.

Das Beste, was man sagen kann, ist dass kein massiver Anstieg, sondern ein leichtes Absinken der unangenehm hohen antisemitischen Einstellungen zu beobachten ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.6.2005)