Man könnte jetzt natürlich zeigen, was für ein toller Hecht man ist, und Donald Ducks fabulöse, entenverachtende Hasstiraden, Herman Melvilles Totalverweigerung in Bartleby oder Wenedikt Jerofejews autobiografische und aberwitzig betrunkene Reise nach Petuschki, Philip Roths geradezu klassische Antihelden aus Portnoy Beschwerden (die Sache mit der Rinderleber) und Sabbaths Theater (die Sache mit dem Grab) hin zum literarisch einzigartigen Protagonisten aus Irvine Welshs Bandwurm aus Drecksau zitieren. Ein möglicherweise in diesem, unserem Universum nicht mehr steigerbarer Antiheld, der das Agieren seines titelgebenden Wirtskörpers, eines moralisch total verrotteten Polizisten, gnadenlos kommentiert.

Wirklich notwendig ist eine kulturgeschichtliche Sichtung des Begriffs aber nicht mehr. Durchstöbert man daheim die Bücherwände, beschleichen einen nämlich zwei Ahnungen. Erstens gibt es in der Literaturgeschichte seit Kain immer auch Abel. Zweitens: Bücher, die das Gute in der Welt verkünden, haben den Weg nicht zu mir nach Hause gefunden, weil ich ein schlechter Mensch bin. Kann man heutzutage überhaupt von einem Helden sprechen, ohne dessen Bild nicht immer gleich auch zu brechen? Von wegen: in der Dritten Welt Menschen und Länder unter Einsatz des eigenen Lebens aus der Knechtschaft befreien, aber zu Hause schon auch Frau und Kinder schlagen, wenn das Schnitzel zu zäh geworden ist. Ist nicht das Bild vom Helden längst so obsolet, dass wir uns einen zeitgenössischen Prinz Eisenherz gar nicht mehr vorstellen können? Immerhin hatte sogar der letzte Nikolaus bei der Kinderparty im Dezember Mundgeruch und Zungenschlag. Wie wird man dieses Misstrauen gegenüber dem Guten und die Emphase für das Schlechte jemals wieder los? Sogar der in diesem Zusammenhang viel und falsch zitierte David Bowie mit seinem Song Helden erzählt trotz hartnäckiger, anders gearteter Gerüchte in diesem Lied die Geschichte eines Scheiterns.

Seit die Politik Badehosen trägt oder Millionen Menschen bereit sind, für das literarische wie musikalische Schaffen von Dieter Bohlen Geld auszugeben, weiß man auch ohne gebildete Freizeitaktivitäten, dass wir alle nicht mehr zu retten sind. Seit "blöd" dank dem Privatfernsehen als sexy und "würdelos" als neue Anstandsregel gilt, haben wir es kulturell gesehen ohnehin nur mehr mit bodenloser Peinlichkeit und jenen Helden zu tun, die man, weil Watschen verboten sind, zumindest mit dem Spruch "Du bist mir ein schöner Held" bedenken und damit eher nicht loben will.

Abgesehen von New Yorker Polizisten und Feuerwehrleuten und heldischen US-"Freedom Fighters" im Irak oder sich schon weniger gut verkaufenden Wiederaufbauhelfern in Tsunamigebieten ist unsere Gesellschaft heute kaum noch fähig, den Heldenbegriff tatsächlich im Positiven zu deuten. Es gilt: Der Lack muss ab - und wenn man erst einmal richtig sucht, werden sich mitunter auch bei einem Arzt ohne Grenzen dunkle biografische Flecken finden lassen.

Eine durch und durch medial inszenierte Welt braucht zwar positiv besetzte Lichtfiguren. Wie aber zu mittlerweile jedem Hollywoodfilm gehört dazu dann eben auch eine "Behind the scenes"- oder "Making of"-Doku, in der dargestellt wird, dass man mit Lichtschwertern niemanden wirklich töten kann oder selbst Darth Vader in der Freizeit in der Nase popelt.

Der Mensch strebt zwar nach Perfektion. Und er braucht auf seinem Weg dahin vor allem auch in der kritischen Jugendzeit Vorbilder - oder zumindest schön zurechtgerückte und statt der Fakten mit Mythen geschmückte Blaupausen von Identifikationsmodellen. Tatsächliche Lichtgestalten (Gründer von Weltreligionen seien hier kurz ausgenommen) wären uns aber mit Sicherheit unerträglich.

Nicht erst seit heute gilt schließlich, dass die wirklich interessanten Geschichten zwar oft vom Kampf Gut gegen Böse handeln. Wobei das Gute sehr oft siegen muss, damit den Überlebenden im Himmelreich auf Erden ordentlich fad werden kann. Lesen, sehen und hören will man jenseits von einem möglicherweise einem humanistischen Dachschaden geschuldeten Drang in Richtung Erbauungsliteratur allerdings bitte schon mehr von den "bösen und schiachen Gfriesern". In jedem Königshaus bitte immer auch gleich einen Prügel-Prinz miteinplanen! (DER STANDARD, Printausgabe vom 11./12.6.2005)