Donna Leon,
Beweise, dass es böse ist.
Deutsch: Christa E. Seibicke, € 20,50/328 Seiten. Diogenes, Zürich 2005.

Foto Buchcover diogenes
Wer kennt das nicht: Auch ein überzeugter Pazifist ist fähig, sich wollüstige Blutbäder auszumalen, wenn ihn der Nachbar mit seinem beharrlichen Lärm jegliche Lebensqualität raubt. Donna Leon erzählt aus dem Leben. Auch sie hatte in Venedig eine solche Nachbarin, die den Fernseher Tag und Nacht lärmen ließ und sie um den Schlaf brachte. Zum Glück hat der Schriftsteller eine Kompensationsmöglichkeit - und so schritt Donna Leon zur Tat.

Eine grässliche, alte Xanthippe liegt mit eingeschlagenem Schädel in ihrer Wohnung. Das Tatwerkzeug: eine Statue von Padre Pio. Die restlichen, seit Jahren genervten Hausparteien sind erleichtert. Keiner sagt der Toten etwas Freundliches nach. Und weil's so praktisch ist und auch zu den rassistischen Klischees passt, wird sogleich vermutet, dass die illegal arbeitende rumänische Haushaltshilfe die Alte ermordet und ausgeraubt hat. Das ist Wasser auf die Mühlen des ekelhaften Tenente Scarpa, der den Fall eilig "löst", bevor Commissario Brunetti aus dem Urlaub zurückkommt. Dummerweise meldet sich dann doch eine Zeugin, die das ganze Beweiskonstrukt zum Einsturz bringt und sich durch Scarpa nicht einschüchtern lässt. Brunetti hört der Frau zu und rollt den Fall neu auf. Ganz wie im realen Stadtplan von Venedig bieten seine Nachforschungen eine Menge Sackgassen und Verirrmöglichkeiten. Auch sonst wird Brunetti nicht so recht froh. "Als er jetzt überlegte, wem in der gegenwärtigen Regierung er vertrauen könne, wollte ihm niemand einfallen."

Dem innenpolitischen Pessimismus, der auch die Verschleppungstaktiken der italienischen Justiz miteinschließt, folgt ein moralischer. Die sieben Todsünden, die im Katechismus seiner Tochter beschrieben werden, existieren nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein, stellt Brunetti fest. Welche Sünde hat die bösartige Alte zu Fall gebracht? Nur so viel: Der zu laute Fernsehers war's nicht.

Leon sagt von sich selbst, dass sie eine Handwerkerin sei. Das ist vor allem im Krimigenre nicht das Schlechteste, was dem Leser widerfahren kann. Dreizehnmal Ermittlungen in Venedig. Das muss ihr erst jemand nachmachen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 11./12.6.2005)