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Nicolas Sarkozy, Anwärter auf Chiracs Nachfolge: "Haben wir den Mut, die Wahrheit zu sagen."

Foto: REUTERS/Philippe Wojazer
Die EU sucht in dieser Woche einen Ausweg aus ihrer Krise: Es wird nicht nur über die Finanzen und die Verfassung diskutiert, sondern auch über Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit einzelner Staaten und das Tempo der EU-Erweiterung.


Vor dem EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag preschte Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy vor: Er schlägt vor, dass eine Neunergruppe in der EU als Antrieb fungieren solle. Dieser Gruppe sollten laut Sarkozy neben Frankreich auch Deutschland, Großbritannien, Spanien, Italien und Polen sowie Belgien, Luxemburg und die Niederlande angehören. Sarkozy bezog damit nur EU-Gründerstaaten sowie große Mitgliedsländer ein. "Haben wir den Mut, die offensichtliche Wahrheit zu akzeptieren: Man hat nicht dasselbe Gewicht, wenn man eine Million oder 62 Millionen Einwohner hat."

Sarkozy, der als möglicher Nachfolger von Präsident Jacques Chirac gilt, sagte, nach ihrem Nein zur EU-Verfassung müssten die Franzosen Wege einer engen Zusammenarbeit innerhalb dieser Gruppe zu suchen. Wenn man allen 25 Staaten denselben Status geben wolle, lähme man die Union. "Die Achse der sechs Großen und der Benelux-Staaten ist die einzig mögliche. Und im Innern dieser Pioniergruppe könnte das deutsch-französische Paar sein ganzes Gewicht einbringen." Dass Sarkozy neun Staaten für diese Gruppe nennt, geht auf eine Bestimmung in der EU-Verfassung zur verstärkten Zusammenarbeit einzelner Staaten zurück. (Siehe Wissen.)

Aber nicht nur der Weg, wie die EU zu mehr Integration kommen kann, ist umstritten, auch die weitere Erweiterung ist Gegenstand von hitzigen Debatten. So hat sich die österreichische EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner in einem Interview mit der deutschen Zeitung Bild am Sonntag dafür ausgesprochen, das Erweiterungstempo der Gemeinschaft zu drosseln. Die Ausdehnung der EU habe "viele positive Resultate gebracht. Aber jetzt brauchen die Menschen Zeit, um diese große Erweiterung zu verdauen". Sie stellte klar: "EU-Mitglied kann nur werden, wer die strengen Beitrittsbedingungen vollständig erfüllt."

Dies war ein Wink mit dem Zaunpfahl für Rumänien und Bulgarien. In einem Brief an die beiden Länder hatte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn jüngst Defizite vor allem in der Justiz und bei der Korruptionsbekämpfung kritisiert. Fast täglich appellieren EU-Kommissare an die beiden Staaten, "jetzt erst recht" die Kriterien zu erfüllen. Damit wird auf die negativen Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden verwiesen. Denn es herrscht allgemein die Einschätzung vor, dass nun die weitere EU-Erweiterung schwieriger werde.

Dies betrifft insbesondere die Türkei. So ringen Vertreter der EU-Staaten darum, ob nun der 3. Oktober als Beginn der Verhandlungen in den Schlussfolgerungen für den EU-Gipfel explizit erwähnt wird oder ob es reicht, auf den entsprechenden Beschluss vom Dezember 2004 zu verweisen. Dass General Ante Gotovina von Kroatien noch immer nicht an das UN-Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert wurde, dient vielen EU-Staaten als willkommener Anlass dafür, die Verhandlungen mit Zagreb weiter auf Eis zu legen. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.06.2005)