Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters
Als Michael Jackson im Juli 1997 live in Wien vor 50.000 Jüngern eine letzte völlig überzogene und beängstigend entseelte Messe im Halbplayback abhielt, zeichnete sich eines schon relativ deutlich ab: Unter all dem gut 25 Millionen Euro teuren Größenwahn, der hier in einem an Leni Riefenstahls Alpträume angelehnten Bühnenbrimborium zwischen Militärparade, Kruzifixposen, irdischem Chaos und Welterrettung aus dem Weltraum durch Heilsbringung eines Kinderpapstes ablief, sollte etwas verdeckt werden. Es ging hier, küchenpsychologisch gesehen, darum, dass Größenwahn eventuell nur die andere, die dunkle Seite eines tiefen Minderwertigkeitskomplexes darstellte, der in den Medien seit den frühen 80er-Jahren genüsslich dokumentiert wurde.

Gehänselt als "Big Nose"

Die Geschichte ist weitgehend bekannt: ein kleiner, 1958 in ärmliche Verhältnisse in einem Industriekaff in Indiana geborener Junge wird gemeinsam mit seine vier Brüdern als The Jackson 5 vom Vater zum Erfolg geprügelt und somit seiner Jugend beraubt. Gehänselt als "Big Nose", aber ab den späten 70er-Jahren in einem einzigartigen Ausbruch aus den beengenden Verhältnissen zu einem unwiederbringbaren Welterfolg mit dem 82er-Album Thriller auflaufend, versuchte Michael Jackson diesen traumatischen Raub einer eigenen Persönlichkeitsentwicklung durch immer bizarrere Aktivitäten in seinem so niemals gegebenen privaten Bereich zu kompensieren.

Der Körper ein Schlachtfeld

Der Körper ein Schlachtfeld, auf dem sich fortan nicht nur die Tragödie eines unglücklichen und gehänselten Kindes abspielte. Als erster afroamerikanischer Superstar ging es bei Jackson wohl auch im Verein mit seinem Management durch beständig unternommene "Weißwaschung" darum, den letztlich doch irgendwann gesteckten Grenzen eines weißen Marktes für schwarze Künstler (siehe auch aktuell Beyoncé im Verhältnis zu weißen Pendants wie Eminem) dadurch zu entkommen, dass Jackson seine Wurzeln hinter sich ließ, um jemand völlig anderer zu werden. Was immer Michael Jackson jetzt verbrochen hat, oder nicht, und es soll hier nichts entschuldigt werden, aber: Die Welt und deren Wille, hier haben sie mit Skalpell und Camouflage-Make-Up ihre individuelle Entsprechung im Gesicht und auf dem Körper eines gequälten Menschenkindes gefunden.

Streben nach Formwandlung

Das Streben nach Formwandlung führte dann schon Ende der 90er-Jahre dazu, dass gerade die Zielgruppe von Michael Jackson, die weißen Mittelstandskinder in den USA laut einer Umfrage zu einem Großteil die öffentliche Person Michael Jackson als mindestens "verstörend" empfanden. Wie sich jetzt gerade auch "weiße" Medien auf den Prozess stürzten, weil hier offensichtlich einer, dem es aufgrund seiner Herkunft nicht zustand, zu viel wollte. Nach dem Abschluss des Prozesses gilt: dank diverser dokumentierter Merkwürdigkeiten zwischen platonischer Kinderliebe und eventuellem -missbrauch, bizarrem Lebensstil, immer noch weiterer Operationen sowie dem letzten, 22 Millionen Euro teuren Album-Flop Invincible aus 2001 wird jetzt mit diesem Schlussstrich auch einer unter Jacksons Karriere gezogen. Wir haben es hier mit einer der großen individuellen Tragödien des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu tun. Ein Ende mit Schrecken. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.6.2005)